Die Rettung
hatte. Sarah strich mit dem Finger über die Beschläge. »Eóin hat das Ding vor einiger Zeit mit nach Hause gebracht, er hat es aus der Garnison gestohlen.«
Dylans Augen weiteten sich vor Staunen. »Was hat er getan?«
»Ich habe ihn deswegen gründlich ausgescholten und ihn gefragt, ob er wirklich wegen eines alten Schildes ins Gefängnis wandern will. Wenn er es darauf anlegt, dass ich vor Angst um ihn umkomme, dann solle er nur ruhig so weitermachen, habe ich gesagt.« Sie hob den Schild hoch und betrachtete ihn. »Doch jetzt denke ich, wenn der Schild dich im Kampf beschützt, dann ist mein Sohn dieses Risiko nicht umsonst eingegangen.«
Sie hielt ihm ihr Geschenk hin. »Ich glaube nicht, dass Major Bedford ihn je vermisst hat. Er besitzt eine große Sammlung alter schottischer Waffen, die er irgendwo versteckt. Ich möchte wirklich wissen, was er damit anfangen will. Vermutlich schickt er alles nach London.«
Dylan konnte sich nur zu gut vorstellen, dass Bedford am liebsten alles, was nicht niet- und nagelfest war und auch nur den geringsten Wert hatte, aus Schottland abtransportiert hätte. »Hat er nicht einen Sohn dort in England?«
Sarah nickte. »Daniel Junior. Er lebt in einem riesigen Herrenhaus, das der Major für seine Frau gebaut und dem er seinen Namen gegeben hat. Die Frau ist ein schwaches, kränkliches Geschöpf, das nicht in Schottland leben will. Sie fühlt sich in London, im Kreis der reichen Freunde ihres Vaters wohler. Außerdem wäre das raue Klima hier ihr Tod.« Tiefe Verachtung für zimperliche Engländerinnen schwang in ihrer Stimme mit.
»Du weißt viel über Bedfords Lebensumstände.«
»Och, darüber weiß das ganze Tal Bescheid. Als er als junger Leutnant hierher versetzt wurde, hat er ja laut genug gejammert, was er alles aufgeben musste. Er hat sich zum Gespött der ganzen Umgebung gemacht.« Wieder hielt sie ihm den Schild auffordernd hin. »Nimm ihn. Das hier bekommt Bedfords Balg jedenfalls nicht.«
Dylan nahm den Schild entgegen. »Vielen Dank, Sarah.« Sie nickte nur, schlang ihren Umhang um sich und trat zur Tür. Dylan sah ihr nach. Ohne zu überlegen fragte er plötzlich: »Möchtest du nicht noch ein Weilchen bleiben?«
Sie machte zuerst Anstalten, die Einladung kopfschüttelnd abzulehnen, doch dann zögerte sie. Er lehnte den Schild gegen ein Tischbein und wartete geduldig auf ihre Antwort, weil er verstehen konnte, wie sie zwischen widersprüchlichen Gefühlen hin- und hergerissen wurde. Ihm selbst war auch nicht genau klar, warum er sie zum Bleiben aufgefordert hatte; er wusste nur, dass er diesen letzten Abend im Tal nicht allein verbringen wollte. Vielleicht sah er seinen Hof nie wieder. »Du würdest mir damit eine große Freude machen«, sagte er schließlich.
Sichtlich dankbar für die Ermunterung lächelte sie, nickte und nahm ihren Umhang ab. Dylan hängte ihn auf einen Haken neben der Tür und bedeutete Sarah, auf dem Stuhl am Feuer Platz zu nehmen. Dann legte er einen weiteren Torfballen auf die Flammen und zog seinen eigenen Stuhl näher heran, um sich neben sie zu setzen. Eine eisige Hand griff nach seinem Herzen, als er daran dachte, wie oft er so des Abends mit Cait beisammen gesessen hatte. Unwillig schüttelte er die Vorstellung ab. »Es stört dich hoffentlich nicht, wenn ich meine Arbeit beende, während wir uns unterhalten, oder?«
Sarah schüttelte den Kopf. »Natürlich nicht. Sonst wäre ich ja Schuld daran, dass du mit einem stumpfen Schwert gegen die Engländer kämpfen musst.«
Ein Lächeln spielte um seine Lippen, als er das Breitschwert vom Tisch nahm und nach Wetzstein und Poliertuch griff. Dann setzte er sich auf den zweiten Stuhl und fuhr mit seiner Arbeit fort.
Zuerst drehte sich die Unterhaltung um eher oberflächliche Dinge. Dann sprachen sie über Gedichte und Literatur; ein Thema, das sie beide nie zuvor angeschnitten hatten. Seltsamerweise kamen sie sich dabei vor wie ein Paar bei der ersten Verab-redung, obwohl sie sich schon seit Jahren kannten. Jeder hatte Angst, unabsichtlich einen wunden Punkt des anderen zu berühren. Erst jetzt begriff Dylan, dass all seine bisherigen Versuche, ein persönliches Gespräch mit ihr zu führen, gescheitert waren, weil sie so viele kleine Dinge über einander einfach nicht wussten. Heute Abend betraten sie trotz langjähriger Freundschaft Neuland, bewegten sich sozusagen auf sehr dünnem Eis und wählten daher ihre Worte äußerst behutsam. Literatur schien ihnen ein relativ
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