Die Rettung
unverfängliches Thema zu sein.
Abgesehen von seiner Bibel besaß Dylan nur Bücher englischer Autoren, doch es stellte sich heraus, dass Sarah eine Vorliebe für griechische Heldenepen hegte. Dylan hatte auf dem College zwar Homers Werke gelesen, konnte sich jedoch nur noch an einige wenige Zeilen daraus erinnern. So hörte er gebannt zu, als Sarah ihre Lieblingsverse aus der Ilias rezitierte. Er wusste, dass sie früher einmal mit einem Vetter des Lairds verheiratet gewesen war, kannte sie jedoch nur als Küchenmagd aus der Burg und war daher über ihre umfassende Bildung nicht wenig erstaunt. Während sie sprach, begann sie sich allmählich zu entspannen. Ihre Stimme klang warm und ruhig.
Sarah war in seiner Gegenwart stets schüchtern und gehemmt gewesen, nur hatte er das bislang nie bemerkt, weil es ihn nie interessiert hatte. Noch nie hatte er sie so lächeln sehen wie heute oder sie mit so lebhafter Stimme sprechen hören. Und zum ersten Mal, seit er sie kannte, las er in ihren Augen noch etwas anderes als hoffnungslose Anbetung.
Als er mit seiner Arbeit fertig war, schob er die Waffen in ihre Scheiden, legte sie auf den Tisch und setzte sich wieder zu Sarah. Das Feuer brannte herunter, er legte einen Torfballen nach. Die Kerze am Tisch war schon beinahe erloschen, als sich das Gespräch schließlich seinem bevorstehenden Aufbruch zuwandte. Beide wussten, dass sie sich in das Unabänderliche fügen mussten.
Dylans Stimme klang erstickt. »Sarah, wenn ich sterben sollte ... ich möchte, dass du es dann den Kindern sagst...«
»Du wirst nicht sterben!« Nacktes Entsetzen malte sich auf ihrem Gesicht ab. Er sah sie überrascht an.
»Aber falls doch, sag ihnen, wie lieb ich sie habe«, beharrte er.
»Natürlich liebst du sie. Und natürlich würde ich deinen Wunsch erfüllen, falls du fallen solltest. Aber das wirst du nicht. Das darf einfach nicht sein!«
Dylan nickte. »Na gut, wenn du das sagst.« Lahm witzelte er: »Aber ich werde nur deinetwegen am Leben bleiben.«
Als Sarah daraufhin rot anlief, legte er eine Hand über die ihre und wollte ihr versichern, dass er nur einen Scherz gemacht habe, doch dann änderte er seine Meinung. Wie so viele seiner Scherze war auch dieser im Grunde genommen ein Versuch gewesen, die Wahrheit zu sagen, ohne die Verantwortung für seine Worte übernehmen zu müssen. Über sich selbst verärgert beschloss er, endlich reinen Tisch zu machen.
»Ich wollte dich nicht in Verlegenheit bringen, aber es stimmt, ich werde alles daransetzen, wieder nach Hause zu kommen. Ich will dich und die Kinder wiedersehen.«
Tränen glitzerten in ihren Augen. Fast unhörbar wisperte sie: »Ich habe so lange darauf gewartet, dass du so etwas sagst - mir zu verstehen gibst, dass ich dir nicht vollkommen gleichgültigbin ...«
Darauf wusste er keine passende Antwort. Also meinte er nur stockend: »Ich wollte dir nie weh tun, weißt du?«
Sie nickte, wollte etwas sagen, brachte aber keinen Ton heraus. Auch Dylan fiel nichts mehr ein, also beugte er sich vor und küsste sie.
Sie schien unter seinen Lippen dahinzuschmelzen. Ihr Mund war samtweich; die Träne, die aus ihrem Auge rann, schmeckte salzig. Eine Hand an sein Gesicht legend, zog sie ihn näher zu sich. Die Kerze hinter ihnen erlosch, es wurde dämmrig im Raum. Dylan legte Sarah einen Arm um die Taille, sie lehnte sich vor und schlang die Arme um seinen Hals.
Der Kuss schien nicht enden zu wollen. Für Dylan hätte er ewig dauern können; teils, weil er ihn genoss, teils, weil er nicht wusste, was danach kommen würde.
Doch da stand Sarah auf, nahm seine Hand und zog ihn von seinem Stuhl hoch. Dylan überlegte blitzschnell, ob er ihr folgen sollte oder nicht. Weigerte er sich, so setzte er sie mit Sicherheit in tödliche Verlegenheit, aber wenn er jetzt seinem Verlangen nachgab und sie später wieder zurückwies, würde er sie noch tiefer verletzen. Doch dann küsste Sarah ihn erneut, und das gab den Ausschlag.
Er umarmte sie und zog sie an sich. Sein Herz begann schneller zu schlagen, und plötzlich erkannte er, wie gerne er seine letzte Nacht im Tal mit ihr verbringen würde. Mit jedem Moment, der verstrich, wurde dieser Wunsch stärker.
Sarah löste sich von ihm, zog ihn mit einer Hand mit sich, nahm mit der anderen ihr Kopftuch ab und ließ ihr Haar lose über die Schultern fließen. Dylan stellte überrascht fest, wie lang es war. Er hatte sie noch nie ohne ihr corrachd tri-chearnach gesehen, nur die kleine Locke, die
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