Die Rettung
hätte in jener Nacht den Mut aufgebracht, mich zumindest bemerkbar zu machen. Ich hasse ihn, weil er mich so eingeschüchtert hat, dass ich nicht wagte, wenigstens zu schreien. Er ist ein jämmerlicher Feigling, der sich an Frauen vergreift und die Welt nur ertragen kann, wenn er voll bis zum Stehkragen ist. Dreißig Jahre lang hat er Mom und mich terrorisiert. Er bringt nur Unglück über alle, die mit ihm zu tun haben.«
»Trotzdem darfst du deinen eigenen Vater nicht hassen. Du brauchst ihn ja nicht zu respektieren - aber Hass? Reicht es nicht, wenn du ihn verachtest?«
Dylan nickte. »Ein Batzen Hundescheiße unter meinem Stiefel ist mehr wert als dieser Dreckskerl. Wenn ich nicht nach Schottland zurückgekehrt wäre, hätte ich ihn wahrscheinlich eines Tages zu Brei geschlagen. Ich hätte nicht länger tatenlos zusehen können, wie er Mom das Leben zur Hölle macht. Jetzt nicht mehr.«
»Und nun machst du dir Sorgen, weil du ...«
Dylan blickte auf. Diese verdammte Fee kannte ihn entschieden zu gut. »Ich mache mir Sorgen, weil ich sie schutzlos zurückgelassen habe. Ich habe Angst, dass er sie irgendwann einmal ernsthaft verletzt - oder umbringt.« Einen Moment lang kam ihm der Tag in den Sinn, an dem er Cait ohne Schutz hatte zurücklassen müssen. Energisch schüttelte er diesen Gedanken ab. »Ich möchte wissen, wie ihr Leben weitergeht.«
Das entlockte der Fee ein glockenhelles Lachen. »Jetzt sitzt du also im selben Boot wie wir alle. Du möchtest in die Zukunft schauen können!«
Er hob die Schultern. »Ich würde gern wissen, ob sie in Sicherheit ist, dann könnte ich nachts ruhiger schlafen. Aber ich fürchte, das werde ich in diesem Leben nicht mehr erfahren.«
»Das fürchte ich auch, mein Freund.«
Eine Weile herrschte Schweigen, während Dylan weiter Dünger auf dem Feld verteilte, dann fragte er: »Glaubst du, sie vermisst mich?«
»Sie ist deine Mutter. Natürlich vermisst sie dich.«
Wieder schwieg Dylan eine Weile, ehe er weiterfragte: »Meinst du, sie kommt eines Tages hierher, um herauszufinden, was aus mir geworden ist?«
»Ich würde das tun, wenn du mein Sohn wärst.«
»Vielleicht findet sie mich ja.«
»Du wirst dann aber schon lange tot sein.«
Dylan hielt mit der Arbeit inne, als ihm aufging, dass seine Mutter ja erst geboren werden würde, wenn er schon seit einigen hundert Jahren in seinem Grab lag. Dann sah er Sinann fest in die Augen. »Vielleicht findet sie ja stattdessen dich.« Ein Hoffnungsschimmer keimte in ihm auf.
Die Fee, die ihm seine Gedanken von der Stirn ablas, schüttelte abwehrend den Kopf. »Ich würde nie wagen, deine Mutter zu dir zu schicken. Bei deiner Freundin habe ich es riskiert, um Ciaran zu retten, aber deine Mutter ... Ich habe nicht mehr genug Kontrolle über diese Vorgänge. Sie könnte überall und in jeder Zeit landen, und wenn alles schief geht, bin auch ich dann nicht mehr oder noch nicht am Leben. Wenn sich keiner von uns beiden um sie kümmern kann, ist sie vielleicht schlimmer dran als in ihrer eigenen Zeit. Dort kennt sie sich wenigstens aus.« Wieder schüttelte sie den Kopf. »Nein, es ist viel zu riskant.«
Dylan seufzte und versank wieder tief in Gedanken. »Du hast Recht«, gab er endlich zu. »Selbst wenn es dir gelingen würde, sie zu mir zu schicken, könnte ich hier weder für ihre Sicherheit noch für ihre Gesundheit garantieren.« Es schmerzte ihn, sich dies eingestehen zu müssen. Verbittert stieß er die Mistgabel in den Kompost.
Sinann ließ ihm keine Zeit, mit dem Schicksal zu hadern. Sie flatterte hoch und zwitscherte fröhlich: »Jetzt leg endlich die Gabel weg und komm mit. Wir müssen herausfinden, was Morrighan vorhat. Du verfügst jetzt über genug Macht, und du solltest es versuchen, solange wir noch Vollmond haben.«
Er schüttelte den Kopf. »Geht nicht. Ich habe viel zu viel zu tun. In ein paar Tagen vielleicht.«
»Dann kann es zu spät sein.« Sinann musterte ihn vorwurfsvoll. »Vielleicht ist es sogar jetzt schon zu spät.«
»Sinann, ich muss mit meiner Arbeit fertig werden. Ich kann es mir nicht leisten, meine Zeit mit albernen Spielchen zu vertrödeln.« Er warf die Gabel in den Karren, packte die Zügel des Pferdes und zog es ein paar Meter weiter. Dann ging er wieder zum hinteren Teil des Karrens, um die nächste Fuhre Kompost über das Feld zu streuen.
»Und wenn ich dir ein wenig zur Hand gehen würde?«
Dylan hielt mitten in der Bewegung inne, dachte kurz nach und blickte sich dann um.
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