Die Rettung
laut auf, als sie ausrutschte und Kenneth mit sich riss, der noch versuchte, sich am Geländer festzuhalten, es jedoch verfehlte und mit seinem ganzen Gewicht auf sie stürzte. Beide rollten sie über den Holzboden des Studios.
Im nächsten Moment schlossen sich seine Hände um ihren Hals. Barri trat wild um sich und wand sich unter ihm. Funken tanzten vor ihren Augen. Die Welt schmolz auf ein einziges Ziel zusammen: nur weg von ihm! Er kniete über ihr und drückte sie am Hals zu Boden. Unter Aufbietung all ihrer Kräfte trat sie nach ihm, wieder und immer wieder, bis er sie losließ, nach hinten kippte und gegen ein Gestell mit langen Stäben prallte, die sich aus ihren Halterungen lösten und über den Boden rollten. Barri rappelte sich hoch. Kenneth gelangte ebenfalls wieder auf die Füße und wollte sich erneut auf sie stürzen, doch sie packte blitzschnell einen der Stäbe und rammte ihn ihm in den Magen.
Die Luft entwich aus ihm wie aus einem angestochenen Schlauch. Er packte das Ende des Stabes, doch sie versetzte ihm einen so kräftigen Stoß, dass er zurücktaumelte und den Stab fahren ließ. Noch immer stand er zwischen ihr und der Tür. Bar-ri hielt den Stab wie einen Baseballschläger kampfbereit erhoben. Da sie den Raum nicht verlassen konnte, musste sie ihn zum Gehen zwingen.
»Das kannst du mit mir nicht machen, Barri!« Ihr wurde übel vor Angst, als sie den nackten Hass in seiner Stimme hörte, aber sie wusste, wenn sie den Stab sinken ließ, würde er sie erneut attackieren und dieses Mal vielleicht sogar umbringen. Er fuhr fort: »Du hast mich doch einmal geliebt.« Das klang so beleidigt, als betrachte er es als sein gottgegebenes Recht, von ihr geliebt zu werden, egal was er ihr antat.
Tiefe Trauer um verlorene Zeiten stieg in ihr auf und schnürte ihr die Kehle zu, trotzdem erwiderte sie fest: »Damals warst du auch noch kein so jämmerlicher Schuft wie heute.«
Sein Gesicht lief rot an, seine Augen wurden dunkel. Wutentbrannt stürzte er sich auf sie, um sie zu packen, doch sie holte aus und hieb ihm den Stab mit solcher Kraft über den Kopf, dass das Holz zersplitterte. Kenneth stieß ein unartikuliertes Gebrüll aus und torkelte zur Seite.
Der Stab war jetzt ein gutes Stück kürzer. Sie hielt ihn wie einen Spieß mit dem scharfen, abgebrochenen Ende auf ihn gerichtet. »Geh jetzt! Mach, dass du rauskommst!« Trotz all ihrer Entschlossenheit, sich dieses eine Mal gegen ihn zur Wehr zu setzen, erschien es ihr undenkbar, ihn ernsthaft zu verletzen. Fieberhaft betete sie, dass er endlich verschwinden und sie allein lassen würde.
Kenneth musterte sie argwöhnisch. Anscheinend war er nicht sicher, wie weit sie wirklich gehen würde. Barri presste die Lippen zusammen, um ihren Worten Nachdruck zu verleihen. Der entschlossene, konzentrierte Ausdruck fiel ihr ein, der immer Dylans Gesicht geprägt hatte, wenn er gegen einen Sparringspartner kämpfte. Sie imitierte ihn, so gut es ging, runzelte die Stirn, kniff die Augen zusammen, trat einen Schritt zurück und schwang den Stab drohend in seine Richtung.
In diesem Moment gab er auf, das sah sie ihm an. Und sie nutzte ihren Vorteil sofort. »Raus!«, befahl sie mit schneidender Stimme. Zu ihrem Erstaunen gehorchte er tatsächlich, schlich rückwärts zum Ausgang und riss die Glastür auf.
Barri sah zu, wie er zu seinem Auto wankte, einstieg und davonfuhr, dann schloss sie die Tür wieder und legte den Riegel vor. Sie musste mit Ronnie ein ernstes Wort reden; er durfte nicht ständig vergessen, die Tür hinter sich abzuschließen. Langsam stieg sie die Treppe zum Apartment empor, die provisorische Waffe noch immer fest in der Hand, obwohl Kenneth längst fort war. Die Balkontür stand halb offen und hing überdies schief in den Angeln.
Plötzlich überfiel sie ein unkontrollierbares Zittern. Sie sank auf dem Wohnzimmerteppich zusammen, schlang die Arme um die Knie, wiegte sich vor und zurück und wünschte, es läge in ihrer Macht, die Zeit zurückzudrehen, ihr vergeudetes Leben zu vergessen und noch einmal ganz von vorne zu beginnen.
13. Kapitel
In der dritten Aprilwoche erhielt Dylan einen unerwarteten Besuch von Niall MacCorkindale. Es war schon spät, die Kinder lagen längst im Bett, und Dylan saß am Tisch und setzte einen Brief an einen Marmorhändler in Glasgow auf, um einen Grabstein für Cait zu bestellen.
Italienischer Marmor war sündhaft teuer und Grabsteine jeglicher Art in diesem Teil des Landes weitgehend imbekannt. Genau
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