Die Rettung
wie der goldene Ehering, den er Cait geschenkt hatte, würde auch ein Grabmal als verschwenderischer Luxus angesehen werden.
Doch er hatte den Hof gut durch den Winter gebracht und das Geld, das Ramsay an dem Tag bei sich getragen hatte, an dem Dylan mit ihm gekämpft und ihn getötet hatte, war nicht für andere Dinge benötigt worden. Es reichte aus, um einen schlichten Grabstein zu erwerben und Caits Namen hineinmeißeln zu lassen. Allerdings würde der Glasgower Händler den Marmor erst in London bestellen müssen. Dylan hatte Ramsays Gold und Silber gegen einen Wechsel eingetauscht. Solche Papiere gingen immer durch zahlreiche Hände, denn Bargeld war stets knapp. Seumas würde ihn samt Dylans Brief im Spätsommer mit nach Glasgow nehmen und den fertigen Stein nach Ciorram schaffen. Im Herbst sollte er dann Caits Grab schmücken.
Während er schrieb, zerzauste ein leichter Windstoß sein Haar und brachte die Kerze auf dem Tisch zum Flackern. Dylan erschauerte. Er blickte auf, um festzustellen, wo der Windzug herrührte. Merkwürdig. Die Fensterläden waren fest geschlossen, die Tür ebenfalls. Und der Wind erstarb so plötzlich, wie er aufgetreten war, Im nächsten Moment öffnete sich die Haustür tatsächlich. Voll freudiger Erwartung sprang Dylan auf, da er mit dem Besuch eines seiner Clansleute rechnete. Doch stattdessen sah er sich einem uniformierten Rotrock gegenüber.
»Guten Abend«, grüßte MacCorkindale förmlich. »Darf ich mich einen Moment zu Euch setzen?« Er wirkte etwas nervös; so, als sei er nicht sicher, ob man nicht im nächsten Augenblick auf ihn schießen würde.
Dylan hob das Kinn und musterte seinen Besucher. Er wusste ebenso gut wie MacCorkindale, dass er diese Bitte nicht abschlagen durfte. Abgesehen davon, dass der Rotrock ein Vertreter der Besatzimgsmacht war und als solcher jederzeit unter jedem Vorwand jedes Haus betreten durfte, hatte er höflich um Einlass gebeten und durfte sich nun als Gast in Dylans Haus betrachten.
Obwohl Dylan im Amerika des 20. Jahrhunderts aufgewachsen war, lebte er jetzt nach den Regeln seines im 18. Jahrhundert existierenden Clans. Das hieß nicht nur, dass es so etwas wie das Recht auf Privatsphäre nicht gab, sondern auch, dass er seine eigenen Gefühle und Ansichten stets den Geboten der Höflichkeit unterzuordnen hatte. Da er unter den Mathesons von Ciorram ein hohes Ansehen genoss, musste er umso stärker darauf achten, sich den gegebenen Traditionen anzupassen. Dazu kam, dass er vorgab, aus Virginia zu stammen, und als Kolonist durfte er sich gegenüber seinen schottischen Verwandten erst recht keinen Schnitzer erlauben.
Also lud er den Leutnant mit einem Kopfnicken ein, auf dem anderen Stuhl am Feuer Platz zu nehmen.
MacCorkindale nahm seinen Helm ab, zog die Handschuhe aus und setzte sich. Dylan kehrte zu seinem Stuhl am Usch zurück und drehte ihn so, dass er seinem Gast ins Gesicht blicken konnte. »Ich kann Euch leider kein Ale anbieten, ich habe keines mehr da«, entschuldigte er sich. »Und vom Abendessen ist nur noch ein Bannock und ein Rest kaltes Gemüse übrig.« Vermutlich würde MacCorkindale das Gemüse ohnehin verschmähen, es galt als Armeleuteessen, und nur wenige Schotten mochten es. Dylan war nicht der Einzige im Tal, der frisches Gemüse und Kräuter aus dem Wald und Kresse vom Bachufer aß, aber er war der Einzige, der zugab, dass es ihm schmeckte. Als Cait noch am Leben gewesen war, hatte er sie sogar dazu überredet, draußen im Hof etwas Kohl anzubauen. Sie hatte seine Bitte nur äußerst ungern erfüllt.
Der Leutnant schüttelte den Kopf. »Das macht nichts. Ich bin nur gekommen, um mit Euch zu reden.«
Dylan legte seine Schreibfeder neben das Tintenfass und wischte sich die Finger an einem alten Tuch ab. »Mit mir reden? Worüber denn?« Er blickte zur Tür, weil er sich fragte, ob die Eskorte des Rotrockes wohl draußen wartete. Hoffentlich stocherten sie nicht mit ihren Bajonetten in dem Strohdach herum ...
»Ich bin alleine gekommen«, beantwortete MacCorkindale seine unausgesprochene Frage. Dylan lehnte sich zurück und legte einen Arm auf die Stuhllehne. Die Sache versprach interessant zu werden. Auf dem runden Gesicht des Leutnants lag ein schwer zu deutender, halb belustigter, halb ernster Ausdruck, als er fortfuhr: »Ich habe einiges über Euch gehört, Dylan Matheson, und ich weiß nicht recht, was ich davon halten soll.«
Ein zynisches Lächeln spielte um Dylans Lippen. »Was denn, wenn ich fragen
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