Die Revolution der Ameisen
wäre, die Zivilisation der Ameisen endlich kennenzulernen und einen gleichberechtigten Dialog zu führen.
Weil die Finger gescheitert sind, muß jetzt Nr. 103 68\1 versuchen, das Projekt in umgekehrter Richtung zu verwirklichen. Sie muß ihre Artgenossen überzeugen, ein Bündnis mit den Fingern zu schließen. Sie selbst ist felsenfest überzeugt davon, daß das im Interesse der beiden größten irdischen Zivilisationen wäre. Mit vereinten Kräften käme man bestimmt viel weiter als mit der ständigen Konfrontation.
Sie erinnert sich an ihre Flucht. Das war gar nicht einfach gewesen, denn die Finger wollten sie nicht gehen lassen. Sie hat abgewartet, bis in ihrem Mini-Fernseher mildes Wetter vorhergesagt wurde, und dann hat sie am frühen Morgen durch einen Spalt das Weite gesucht.
Der schwierigste Teil ihrer Aufgabe liegt jedoch noch vor ihr: die ihren zu überzeugen. Daß die zwölf jungen Kundschafterinnen ihr Projekt nicht verworfen haben, scheint ihr aber ein gutes Omen zu sein. Die Schlucht ist überwunden, und die Ameisen-Hängebrücke löst sich auf. Man gönnt sich eine kleine Verschnaufpause, und Nr. 103 683 erlaubt den anderen großmütig, sie mit einer Kurzform ihres Namens anzureden, wie es auch schon die Soldatinnen des großen Kreuzzugs getan haben.
»Mein Name ist Nr. 103 683, aber ihr könnt mich ruhig Nr.
103 nennen.«
Nr. 14 erwidert, das sei nicht der längste Ameisenname, der ihnen je begegnet wäre. In ihrer Gruppe habe es früher eine Ameise namens Nr. 3642451 gegeben. Man habe wahnsinnig viel Zeit gebraucht, um sie zu rufen. Zum Glück sei sie aber während einer Jagdexpedition einer fleischfressenden Pflanze zum Opfer gefallen.
Sie setzen ihren Abstieg fort.
34. ENZYKLOPÄDIE
Wie man sich integrieren kann: Man muß sich vergegenwärtigen, daß unser Bewußtsein der sichtbare Teil unseres Denkens ist. Wir besitzen 10 % sichtbares Bewußtsein und 90 % tief versunkenes Unterbewußtsein.
Wenn wir das Wort ergreifen, müssen die 10 % unseres Bewußtseins sich an die 90 % des Unterbewußtseins unserer Gesprächspartner wenden.
Um das zu erreichen, muß die Barriere des Mißtrauens überwunden werden, die wie ein Filter wirkt und Informationen daran hindert, ins Unterbewußtsein vorzudringen.
Eines der Mittel zum Erfolg besteht darin, die Ticks der anderen zu imitieren, die besonders bei Mahlzeiten zutage treten. Nutzen Sie diesen kritischen Moment aus, um Ihr Gegenüber scharf zu beobachten. Hält es sich beim Sprechen eine Hand vor den Mund, so müssen Sie es imitieren. Wenn es seine Pommes frites mit den Fingern ißt und sich ständig den Mund mit der Serviette abwischt – tun Sie es ebenfalls!
Beantworten Sie sich so simple Fragen wie: »Sieht der andere mich beim Sprechen an?« oder »Spricht er mit vollem Mund?« Indem Sie die Gewohnheiten nachahmen, die er beim Essen an den Tag legt, werden Sie automatisch die unterbewußte Botschaft übermitteln: »Ich bin vom selben Stamm wie Sie, wir haben dieselben Manieren und deshalb zweifellos auch dieselbe Erziehung und dieselben geistigen Interessen.«
EDMOND WELLS,
Enzyklopädie des relativen und absoluten Wissens, Band III
35. BIOLOGIESTUNDE
Nach der Mathematik die Biologie. Julie begab sich geradewegs zu den Unterrichtsräumen der ›exakten Wissenschaften‹
mit weiß gekachelten Labortischen, Glasbehältern mit Tierföten in Formalin, schmutzigen Reagenzgläsern, schwärzlichen Bunsenbrennern und großen Mikroskopen.
Mit dem Klingelzeichen betraten die Schüler zusammen mit ihrem Lehrer den Biologiesaal. Alle streiften vorschriftsmäßig weiße Kittel über, die ihnen das Gefühl verliehen, zur Kaste der ›Wissenden‹ zu gehören.
Für den theoretischen Teil des Unterrichts hatte der Lehrer sich heute das Thema ›Insekten‹ vorgenommen. Julie holte ihr Heft hervor, weil sie alles eifrig notieren wollte, um später nachzuprüfen, ob seine Ausführungen mit den entsprechenden Passagen der Enzyklopädie übereinstimmten.
»Die Insekten bilden 80 % des Tierreichs. Am ältesten sind die Schaben, die es seit mindestens 300 Millionen Jahren auf der Erde gibt. Als nächstes kamen die Termiten, vor 20\1 Millionen Jahren, und dann, vor etwa 100 Millionen Jahren, die Ameisen. Vergegenwärtigen Sie sich bitte, daß die allerersten bekannten Vorfahren des Menschen unseren Planeten seit höchstens drei Millionen Jahren bevölkern.«
Der Biologielehrer betonte, die Insekten seien aber nicht nur die ältesten, sondern auch
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