Die Richter des Königs (German Edition)
Fieber.«
Jeremy nickte nur und beugte sich über die Kranke, dabei unwillkürlich den Atem anhaltend. Sie rollte stöhnend den Kopf hin und her, als leide sie Schmerzen. Zwischen den halb geöffneten, rissigen Lippen wurde die von einer dunklen Kruste überzogene Zunge sichtbar. Mundwinkel und Nasenlöcher waren von einem schwärzlichen Schleim und getrocknetem Blut bedeckt.
Obwohl Jeremy schon viele Kranke behandelt hatte, kostete es ihn Überwindung, die Bettdecke zurückzuziehen. Der Verdacht, der in ihm keimte, war zu erschreckend. In ihren Fieberdelirien hatte die Frau das gelblich verfärbte Leinenhemd, das sie trug, fast gänzlich abgestreift, so dass ihr schweißfeuchter Oberkörper sichtbar wurde. Auf der bleichen Haut zeigten sich purpurne Pusteln, die wie Brandbläschen wirkten, und schwarzviolette Blutergüsse, als sei die Unglückliche geprügelt worden.
Jeremy nahm ihre Hand und fühlte den Puls, der schwach und unregelmäßig war. Schließlich hob er ihren Arm ein wenig an, um die Schwellung unter der Achsel genauer zu betrachten. Sie hatte die Größe eines Hühnereis. Jeremy spürte, wie Kälte seine Glieder befiel und in seinen Magen wanderte.
»Ist meine Befürchtung zutreffend?«, fragte Ó Murchú ungeduldig, als Jeremy stumm blieb. Dieser schloss für einen Moment die Augen, als versuche er, einen schrecklichen Albtraum zu verscheuchen. »Ja«, antwortete er düster, »da gibt es keinen Zweifel. Es ist die Pest.«
Obgleich er es geahnt hatte, zuckte Ó Murchú unwillkürlich zusammen. Die Pest, die schrecklichste aller Krankheiten, die Geißel Gottes …!
»Könnt Ihr noch irgendetwas für sie tun?«, fragte er mit einer Stimme, die auf einmal heiser und belegt klang.
»Nein, gegen die Pest gibt es kein Heilmittel.«
Ó Murchú wandte sich ab, um den anderen Familienmitgliedern, die wie gelähmt im Hintergrund warteten, die Nachricht zu überbringen. Sie kam einem Todesurteil gleich. Kurz darauf hörte Jeremy, der am Krankenlager stehen geblieben war, ein verzweifeltes Klagegeheul und bekreuzigte sich mehrmals. Ó Murchú versuchte, die Familie zu beruhigen, doch es dauerte eine Weile, bis das laute Wehklagen zu einem erstickten Jammern abgeebbt war.
»Ist das der erste Fall in St. Giles?«, fragte Jeremy, in dem Bemühen, die Möglichkeit einer Ausbreitung abzuschätzen.
»Soviel ich weiß, ja«, erwiderte der Ire. »Aber im Dezember soll es in Long Acre, also nicht weit von hier, zwei Pestfälle gegeben haben.«
»Dann bleibt uns nur zu hoffen, dass keine weiteren auftreten werden.«
»Aber Ihr befürchtet es, nicht wahr?«
»Die letzte Heimsuchung Londons durch die Pest war im Jahre 1636. Die Erfahrung hat gezeigt, dass sie gewöhnlich alle zwanzig bis dreißig Jahre wiederkehrt. Und wie Ihr wisst, hat die Seuche vor zwei Jahren in Holland gewütet, und davor in Italien und der Levante.«
Ó Murchú bekreuzigte sich erschrocken. »Was können wir tun?«
»Nichts, Pádraig, nichts außer beten«, sagte Jeremy schicksalsergeben.
Sein Ordensbruder blieb bei der Kranken zurück, um ihr die Sterbesakramente zu erteilen. Jeremy verabschiedete sich von ihm und machte sich auf den Heimweg. In der Paternoster Row angekommen, sprach er mit niemandem. Nachdem er sich ausgiebig gewaschen hatte, zog er sich in seine Kammer zurück und vertiefte sich in düsterer Stimmung in seine medizinischen Bücher.
Dreißigstes Kapitel
A n Philippus und Jacobus erschien Malory abends in der Chirurgenstube und fragte atemringend nach Dr. Fauconer.
»Seine Lordschaft schickt mich. Er bittet Euch, sofort zum Serjeants’ Inn zu kommen. Lord Chief Justice Hyde ist tot!«
Jeremy folgte dem Kammerdiener ohne Zögern. Eine bereitstehende Mietskutsche brachte sie schnell zum Serjeants’ Inn, wo jeder Richter eigene Gemächer unterhielt. Sir Orlando erwartete sie in Sir Robert Hydes Studierstube.
»Danke, dass Ihr so schnell gekommen seid«, rief er erleichtert. »Die Angelegenheit gerät völlig außer Kontrolle.«
Jeremy sah ihn ruhig an, in der Hoffnung, dass wenigstens ein Teil seiner Besonnenheit auf den aufgeregten Richter abfärben möge. »Wo ist er?«
»Sein Kammerdiener hat ihn nebenan ins Bett gelegt.« Sir Orlando deutete auf die offen stehende Verbindungstür, durch die ein Baldachinbett zu sehen war. Die dunkelroten Vorhänge waren zugezogen. Daneben saß regungslos auf einem Hocker ein junger Mann mit blassem Gesicht – vermutlich der Kammerdiener.
Jeremy öffnete die
Weitere Kostenlose Bücher