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Die Richter des Königs (German Edition)

Die Richter des Königs (German Edition)

Titel: Die Richter des Königs (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lessmann
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können«, berichtigte Jeremy.
    »Aber Ihr habt Euch nicht geirrt. Ihr seid ein begnadeter Arzt, und Ihr habt ein Gespür dafür, ob ein Mensch die Aussicht hat, zu überleben oder nicht. Deswegen seid Ihr kein schlechter Priester. Ich bin der festen Überzeugung, dass Ihr Eure Entscheidung nicht leichtfertig gefällt habt und dass Ihr auch das nächste Mal richtig handeln werdet.«
    Jeremy hatte etwas Wein eingeschenkt und bot seinem Gast einen Becher an.
    »Danke«, sagte Ó Murchú, »das ist wesentlich besser als das chinesische Gesöff, das Ihr so gerne trinkt. Aber nichts für ungut, jeder hat so seine Vorlieben.« Er wechselte das Thema. »Was meint Ihr, wie lange wird der Krieg mit den Holländern wohl dauern?«
    Ende Februar war der bereits Jahre währende Streit mit dem Handelsrivalen in eine offene Auseinandersetzung umgeschlagen. Die Vorbereitungen für die Ausrüstung der Flotte waren fast abgeschlossen.
    »Ich weiß nicht«, meinte Jeremy besorgt. »Die Holländer haben es leichter, die nötigen Gelder für einen Seekrieg aufzubringen. Ich fürchte, er wird sich lange hinziehen.«
    Pater Ó Murchú stellte den Zinnbecher ab, nachdem er ihn in einem Schluck geleert hatte, und faltete die Hände. »Ich muss gestehen, dass ich nicht allein aus Sorge um Euren Gemütszustand herkam. Mein Besuch gilt weniger dem Ordensbruder als dem Arzt. Eine meiner Schutzbefohlenen ist an einem schweren Fieber erkrankt. Ich habe die Befürchtung … aber Ihr solltet Euch lieber selbst eine Meinung bilden.«
    »Ich verstehe. Geht es ihr sehr schlecht?«
    Ó Murchú nickte ernst.
    »Dann komme ich besser gleich mit.«
    Jeremy packte einige Arzneimittel ein, die er vielleicht brauchen würde, und verließ dann mit seinem Ordensbruder das Haus, nachdem er Alan Bescheid gegeben hatte. Der starke Andrang, der wie stets am Ludgate herrschte, hielt sie als Fußgänger nicht lange auf. Sie folgten der Fleet Street, an deren Ende sie ein weiteres Tor, das Temple Bar, durchqueren mussten, das die westliche Grenze der Stadt London markierte. Dann ging es die Wich Street und die vornehme Drury Lane entlang, zu deren Linken sich die Felder erstreckten, die dem Pfarrsprengel St. Giles-in-the-Fields seinen Namen gegeben hatten. Es war eine arme Gegend mit heruntergekommenen, halb verfallenen Holzhäusern, in denen sich die Menschen auf engstem Raum zusammendrängten, und schmalen verwinkelten Gassen, in die kaum ein Sonnenstrahl drang.
    Auf den ungepflasterten Gassen versank man bis zu den Knöcheln in Morast und Abfall, in dem die herumlaufenden Schweine nach Futter wühlten. Ihr Quieken mischte sich mit dem Bellen der unzähligen streunenden Hunde und den Rufen der Straßenhändler, die ihre Waren anpriesen. Hier war der Rauch, der alles mit Ruß bedeckte, noch dichter als in den anderen Teilen der Stadt, denn unterhalb des Straßenniveaus brannten die Öfen der Kalkbrenner, Färber, Salz- und Seifensieder, und der Qualm gelangte in schwefligen Wolken durch Abzugslöcher an die Oberfläche.
    Vor einem windschiefen Eckhaus, dessen Außenwand man mit ein paar Balken abgestützt hatte, um zu verhindern, dass sie zusammenbrach, blieb Ó Murchú stehen und klopfte an die grob gezimmerte Tür. Diese wurde kurz darauf wie von unsichtbarer Hand geöffnet. Erst beim Eintreten gewahrte Jeremy ein kleines Mädchen, dessen mageres Gesicht von einer schmutzigen Leinenhaube umrahmt wurde. Das Kind sah die Ankömmlinge mit großen ernsten Augen an, sagte aber kein Wort.
    »Ich habe einen Freund mitgebracht, der sich deine Mutter ansehen wird, Marie«, erklärte der irische Pater.
    Das Mädchen führte sie in die einzige Wohnstube, in der eine ganze Familie lebte. Jeremy zählte fünf Kinder, zwei erwachsene Männer und eine Greisin. Im Kamin brannte ein kümmerliches Feuer, das weder Licht noch Wärme spendete. Das Flechtwerk der Wände war so morsch und durchlöchert, dass die Kälte überall eindringen konnte. Fensterscheiben gab es nicht, man hatte die Öffnungen mit fadenscheinigen Tüchern verhängt.
    Jeremy folgte seinem Ordensbruder in eine dunkle Ecke der Wohnstube, aus der ihm ein abstoßender Gestank entgegenschlug. Auf einem einfachen Bettgestell mit einem Strohsack als Matratze lag in einem Durcheinander aus schmutzigen Decken die kranke Frau.
    »Es begann mit Kopfschmerzen, Schwindel und Übelkeit«, begann Ó Murchú aufzuzählen. »Bald erbrach sie sich heftig und hatte übel riechenden Durchfall. Dazu kam ein steigendes

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