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Die Richter des Königs (German Edition)

Die Richter des Königs (German Edition)

Titel: Die Richter des Königs (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lessmann
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gesehen.«
    »Er war heute Morgen hier und erzählte mir, er hätte einen Hinweis gefunden, der mir vielleicht helfen könnte. Ich dachte, er hätte dir inzwischen Näheres gesagt …« Der Priester hatte ihm versprochen, ihn zu retten, doch Breandán konnte seine Zuversicht nicht teilen. Ein Hinweis war nicht genug, um ein gerichtliches Urteil aufzuheben. Und es blieb nicht mehr viel Zeit.
    Amoret versuchte, ihm Mut zu machen, obwohl sie am liebsten selbst in Tränen ausgebrochen wäre. Sie sagte sich immer wieder, dass sie stark sein müsse, um ihn aufrecht zu halten, und ihn ihren Schmerz nicht spüren lassen dürfe, sonst würde sie es ihm nur noch schwerer machen.
    Um Mitternacht erklang vor den Türen der Verliese, in denen die Verurteilten auf ihre Hinrichtung warteten, die Handglocke des Küsters von St. Sepulchre, der Kirche, die dem Newgate am nächsten lag. Um die Unglücklichen auf das Schicksal vorzubereiten, das sie erwartete, sang er dazu die Verse:
    »Ihr Todgeweihten,
    seid stark, denn morgen dämmert euer letzter Tag.
    Geht in euch und bereut eure Sünden,
    denn morgen müsst ihr euch vor eurem Schöpfer rechtfertigen.
    Schwört eurem sündhaften Leben ab
    und liefert euch der Gnade Gottes aus.
    Wenn morgen eure Stunde schlägt,
    dann sei der Herr euren Seelen gnädig.«
    Amoret, die neben Breandán auf dem bescheidenen Bett lag, spürte ihn erzittern, und wenig später wurde ihr klar, dass er lautlos weinte. Die ganze Nacht über hielt sie ihn in den Armen und presste ihn an sich, als wollte sie ihn nie mehr loslassen. Doch als sich die Morgendämmerung ankündigte, war er es, der sich sanft von ihr löste.
    Die jähe Erkenntnis, dass jeden Moment der Wächter erscheinen und sie trennen würde, nahm ihr schließlich die letzte Kraft, und trotz aller guten Vorsätze, nicht schwach zu werden, solange sie bei ihm war, fühlte sie heiße Tränen über ihre Wangen rinnen. Zu ihrer Überraschung lächelte Breandán und streichelte zärtlich ihr Gesicht.
    »Du liebst mich wirklich!«, sagte er, und in seiner Stimme mischten sich Freude und Traurigkeit. »Es tut mir Leid, dass ich es erst jetzt erkenne … wo es zu spät ist.«
    »Aber es ist noch nicht zu spät«, widersprach Amoret schluchzend. »Es bleiben noch ein paar Stunden.«
    »Bitte versprich mir, dass du nicht nach Tyburn kommst. Ich will nicht, dass du mich hängen siehst.«
    »Aber …«
    »Versprich es mir!«
    »Ich verspreche es.«
    Der Schließer öffnete die Tür und führte Amoret hinaus, während der Gehilfe, der ihn begleitete, Breandán die Ketten wieder anlegte. Er tat dies nur, um den Schein zu wahren, denn man würde den Verurteilten vor ihrer letzten Fahrt ohnehin die Ketten abnehmen.
    Draußen vor der Zelle streckte sich Amorets ergebener Diener William die steifen Glieder, denn er hatte die Nacht vor der Tür auf dem Boden zugebracht. Nun, während sie die Gänge entlanggingen, die durch das Gefängnis zur Eingangspforte führten, wachte er aufmerksam darüber, dass kein Gauner seiner Herrin zu nahe kam.
    Wenig später wurde Breandán mit den beiden anderen Todgeweihten in den Presshof geführt und endgültig von den Ketten befreit. Die Wächter trieben sie auf die Ladefläche zweier Karren und hießen sie, auf den Särgen Platz zu nehmen, die später ihre Leichen aufnehmen sollten. Der zu einer Schlinge geknüpfte Strick, mit dem man sie hängen würde, wurde ihnen locker um den Hals gelegt und das andere Ende um die Hüfte gewunden. Zu Breandáns Unwillen kletterte nach dem Henker auch der Ordinarius des Newgate zu ihm in den Karren, sein mageres Gesicht unter der Perücke, unter der es beinahe verschwand, ernst und feierlich, bereit, die Gefangenen zum Hymnensingen zu ermuntern.
    Die Tore des Newgate öffneten sich und gaben den Blick auf die gewaltige Menschenmenge frei, die sich in den Straßen um das Gefängnis versammelt hatte. Auf jedem Dach, an jedem Fenster drängten sich die Leute. Es herrschte eine festliche Stimmung wie auf einem Markt. Der Lärm war ohrenbetäubend. Nach einem alten Brauch waren Hinrichtungstage zugleich Feiertage, an denen man dem Gesinde freigab, denn sie dienten schließlich der Ermahnung des Volkes. Jeder, vor allem die Gesellen, von denen man glaubte, dass sie eine besondere Neigung besaßen, vom rechten Weg abzukommen, sollte Zeuge der unerbittlichen Strafe werden, die die Obrigkeit für Übeltäter bereithielt. Das grausige Schauspiel verfehlte jedoch seine beabsichtigte Wirkung. Zu

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