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Die Richter des Königs (German Edition)

Die Richter des Königs (German Edition)

Titel: Die Richter des Königs (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lessmann
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haben London verlassen. Irgendjemand muss sie doch ersetzen.«
    Amoret ließ sich mit betroffener Miene auf einen Schemel sinken. »Aber woher kommt diese furchtbare Seuche?«
    »Das weiß leider niemand«, seufzte Jeremy. »Die Geistlichen sind der Meinung, dass Gott die Pest als wohlverdiente Strafe über die Menschen gebracht hat, um sie für ihre Sünden zu geißeln.«
    »Und was denkt Ihr? Ihr zweifelt an einer solchen Erklärung, nicht wahr? Ich lese es in Eurem Gesicht.«
    Jeremy zuckte leicht mit den Schultern. »So steht es in der Bibel«, sagte er abwehrend. »Wie Ihr wisst, heißt es im Ersten Buch Samuel: ›Die Hand Jahwes aber lag schwer auf den Leuten von Aschdod, und er brachte Verderben über sie und schlug sie mit bösen Beulen, Aschdod und sein Gebiet.‹ Die Philister wurden mit der Pest gestraft, weil sie die Bundeslade geraubt hatten.« Er hob den Blick und sah sie mit einem weisen Lächeln an. »Andererseits lehnt Hippokrates den Zorn der Götter als Krankheitsursache ab.«
    »Ihr seid also wieder hin und her gerissen zwischen Theologie und Medizin«, spottete Amoret.
    »Nun, es scheint mir einfach schwierig, zu glauben, dass Gott, wenn Er die Sündhaftigkeit am königlichen Hof strafen will, wie die Prediger sagen, ein Strafgericht über die Stadt hereinbrechen lässt, das in erster Linie die unschuldigen Armen trifft, da doch die sündigen Höflinge die Ersten sind, die sich in Sicherheit bringen können. Ihr werdet sehen, Mylady, dass sie alle von der Seuche verschont bleiben und genauso weiterleben werden wie bisher.«
    »Aber wenn die Krankheit nicht von Gott kommt, woher dann? Glaubt Ihr auch, dass die Ursache in der Konstellation der Planeten zu finden ist, wie die Astrologen sagen, oder in einer Korrumpierung der Luft, die zu einer Fäulnis der Säfte führt?«
    »Ich habe meine Zweifel«, entgegnete Jeremy. »Aber es ist nicht leicht, alte Vorstellungen umzustoßen und neue anzunehmen, besonders wenn dabei ein ganzes Theoriengebäude in Frage gestellt wird.«
    »Gibt es denn neue Theorien?«, fragte Amoret neugierig.
    »So ganz neu ist die Theorie, von der ich spreche, nicht«, erwiderte Jeremy. »Schon vor mehr als hundert Jahren führte der Arzt und Physiker Girolamo Fracastoro die Entstehung und Verbreitung ansteckender Krankheiten auf Samen oder Keime zurück, die sich selbstständig vermehren und durch Kontakt von einem Menschen zum anderen übertragen werden können. Einer meiner Ordensbrüder, der Gelehrte Athanasius Kircher, mit dem ich einen regen Briefwechsel unterhalte, geht sogar noch einen Schritt weiter. Er hat beim letzten Ausbruch der Seuche in Rom das Blut von Pestkranken unter dem Mikroskop untersucht und dabei vermiculi pestis entdeckt.«
    »Pestwürmlein?«
    »Ja, kleine Tierchen, die sich, wie er meint, im menschlichen Körper vermehren und so die Pest auslösen. Ein contagium vivum sozusagen.«
    »Ein grausiger Gedanke.«
    »Nicht nur das«, ergänzte Jeremy düster. »Wenn diese Theorie zutrifft, bedeutet das unweigerlich, dass die Heilverfahren der Viersäftelehre völlig sinnlos sind. Ein Aderlass oder die Verabreichung eines Brechmittels würde die Vermehrung dieses winzigen Ungeziefers nicht beeinträchtigen. Wie sollte man ihm zu Leibe rücken? Sollte man versuchen, es durch Gift zu töten? Aber dann vergiftet man auch den Patienten! Ach, ich fühle mich so hilflos«, seufzte Jeremy.
    Amoret betrachtete nachdenklich sein schmales, übernächtigtes Gesicht. Dann fragte sie plötzlich ohne Überleitung: »Warum habt Ihr Meister Ridgeway nach Wales geschickt? Ich erinnere mich genau, dass Ihr sagtet, Richter Trelawney habe bereits jemand anderem den Auftrag gegeben, dort Nachforschungen anzustellen. Ihr wolltet ihn aus der Stadt haben, nicht wahr? Um ihn vor der Pest zu schützen.«
    Der Jesuit begegnete ihrem Blick, der eine Antwort forderte, und breitete ergeben die Hände aus. »Ich gestehe es, ich war um Alan besorgt. Der Mörder hat versucht, ihn mit Pestzunder zu infizieren. Leider macht es ihm die Seuche leicht, unerkannt zuzuschlagen. Ich musste dafür sorgen, dass er sich in Sicherheit bringt.«
    »Aber wird der Mörder es nicht wieder versuchen, wenn Meister Ridgeway zurückkehrt? Wie wollt Ihr sicher sein, dass die Pest bis dahin erloschen ist?«, fragte Amoret. »Ich weiß, Wales ist weit, aber die Seuche kann doch noch Monate andauern.«
    Jeremy sah sie mit einem listigen Ausdruck im Gesicht an. »Das befürchte ich auch. Aus diesem Grund habe ich

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