Die Richter des Königs (German Edition)
Alan einen versiegelten Brief an meinen Bruder John mitgegeben. Darin habe ich ihm die Situation dargelegt und ihn gebeten, Alan unter einem Vorwand auf unserem Familiensitz festzuhalten. Mein Bruder ist sehr erfindungsreich. Er wird sich etwas einfallen lassen, ohne Alans Verdacht zu erregen.«
Für einen Moment war Amoret sprachlos. Schließlich lächelte sie herausfordernd. »Versucht Ihr damit nicht ein weiteres Mal, Gott zu zwingen, Pater?«
»Vielleicht. Aber ich wollte einfach nichts unversucht lassen, um Alan zu schützen«, erwiderte Jeremy ohne eine Spur von Reue. Hier in London wäre ihm der Tod sicher gewesen, fügte er in Gedanken hinzu. Kaum ein Chirurg oder Arzt, sofern er nicht das Weite suchte oder sich weigerte, Kranke zu behandeln, konnte hoffen, einen Pestausbruch zu überleben. Doch Jeremy hütete sich, seine Überlegungen laut auszusprechen. Das war allerdings auch nicht nötig, wie er bald einsehen musste.
Über Amorets Gesicht war ein Schatten gefallen. »Und was ist mit Euch, Pater? Auch Ihr seid in Gefahr, wenn Ihr in der Stadt bleibt. Der König hat mir die Erlaubnis gegeben, Euch mitzunehmen, wenn der Hof nach Hampton Court übersiedelt. Ich bitte Euch, kommt mit mir!«
Jeremys Blick zeigte Verständnis für ihre Sorge, aber auch eine unwiderrufliche Absage. »Mylady, ich bin Euch sehr dankbar für dieses Angebot«, entgegnete er sanft. »Aber ich kann nicht mit Euch gehen.«
»Weshalb nicht?«
»Wie könnte ich die verzweifelten Menschen verlassen, die darauf angewiesen sind, dass ich ihnen Almosen und Trost bringe? Außerdem würde ich gegen einen direkten Befehl meines Superiors verstoßen, wenn ich London verließe.«
»Ich werde mit ihm sprechen. Er wird Euch von Euren Pflichten entbinden.«
Mit einem Anflug von Ärger erwiderte Jeremy: »Ja, das traue ich Euch zu. Aber ich will das nicht. Ich würde es mir nie vergeben, wenn ich diese armen Menschen im Stich ließe.«
»Pater, Ihr spielt mit Eurem Leben!«
»Es geht nicht um mein Leben, Madam, es geht darum, das Richtige zu tun.«
»Wie kann es richtig sein, das Leben leichtfertig wegzuwerfen?«
»In diesen Zeiten liegen Leben und Tod so nahe beieinander, dass das eine manchmal innerhalb eines Tages dem anderen weichen muss. Ich habe mich entschieden und werde meine Meinung nicht ändern. Bitte akzeptiert das, Mylady.«
Vierundvierzigstes Kapitel
I n der dritten Juniwoche stieg die Zahl der Pesttoten auf 168, in der darauf folgenden starben 267 Menschen in London an der Seuche. Der Lord Mayor und der Stadtrat erließen strenge Verordnungen, die eine weitere Ausbreitung verhindern sollten. Anfang Juni waren bereits alle Theater geschlossen worden. Häuser, in denen jemand an der Pest erkrankt war, sollten fortan mit allen Personen, die darin wohnten, für einen Monat versperrt, mit einem Kreuz gekennzeichnet und von einem Wächter bewacht werden, damit niemand das Haus verlassen konnte. Die Teilnahme an Begräbnissen wurde untersagt, ebenso alle Vergnügungen wie Bärenhatzen und Glücksspiele, jegliche Art von Menschenansammlungen galt als gefährlich, da auf diese Weise die Kranken die Gesunden anstecken konnten. Die an der Pest Verstorbenen sollten nur noch während der Nacht begraben werden.
Jeremy war Tag und Nacht unterwegs und besuchte mit den beiden anderen Priestern, mit denen er zusammenarbeitete, die Kranken in ihren Häusern. Seit die umliegenden Sprengel Posten aufgestellt hatten, um den Bewohnern von St. Giles den Durchgang zu verwehren – eine Maßnahme, die aufgrund ihrer verspäteten Einführung sinnlos geworden war –, hatte Jeremy zuweilen Schwierigkeiten, von seinen Ausflügen in die Paternoster Row zurückzukehren. Oft musste er sich an den Posten vorbeischleichen oder abwarten, bis sie nachlässig wurden und einnickten oder zum Essen gingen. Meist blieb er jedoch nur kurz in Alans Haus, um nach dem Rechten zu sehen, denn er wusste, wie unerwünscht er dort war. Als Jeremy am Morgen nach seinem Gespräch mit Amoret die Küche betrat, sprangen John und Tim auch sofort von ihren Schemeln auf und begaben sich, Geschäftigkeit vortäuschend, in die Offizin. Nur Mistress Brewster blieb zurück, grüßte ihn und schnitt ihm pflichteifrig eine Scheibe Brot ab. Während sie ihm Tee zubereitete, versuchte sie ein Gespräch in Gang zu bringen.
»Bisher haben wir ja nur vierzehn Fälle hier im Stadtkern. Aber in St. Giles müssen es wohl Hunderte sein, jedenfalls steht es so in den Totenlisten.«
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