Die Richter des Königs (German Edition)
lag die Mistgrube, die in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen von den Jauchekutschern geleert wurde.
Die Sonne war höher gestiegen, doch ihre Strahlen verschwanden allmählich hinter einer heranziehenden Wolkenbank. Beim Anblick des eng gedrängten Häusermeers überkam Breandán die Sehnsucht nach Irland. Obwohl er seine Heimat mit sechzehn Jahren verlassen hatte, war der Wunsch, dorthin zurückzukehren, nie geschwunden. Doch der Gedanke daran weckte auch Angst in ihm, Angst vor den unkontrollierbaren Gefühlen von Hass und Zorn, die eine Konfrontation mit den Verbrechen der Engländer gegen sein Volk in ihm wieder anfachen würde, Gefühle, die er tief in sich begraben hatte, um nicht von ihnen überwältigt zu werden. Aber sie waren immer da, lauerten in ihm und hinderten ihn daran, Meister Ridgeway oder Richter Trelawney Dankbarkeit entgegenzubringen, allein deshalb, weil sie Engländer waren.
Sein Verhältnis zu Pater Blackshaw war noch zwiespältiger. Der Priester hatte ihm uneigennützig geholfen und ihm nur Gutes getan. Breandán empfand eine echte freundschaftliche Zuneigung zu ihm, doch zugleich konnte er nicht vergessen, dass Pater Blackshaw Jesuit war und dass die Jesuiten sich damals unter Königin Elizabeth geweigert hatten, ihren Grundsatz, sich nicht in Regierungsangelegenheiten einzumischen, aufzugeben und öffentlich für die Iren in ihrem Freiheitskampf Partei zu ergreifen. Die Engländer, die sie damit von ihrem guten Willen überzeugen wollten, dankten ihnen diese Zurückhaltung ohnehin nicht.
Und schließlich war da noch Amoret St. Clair, diese schöne und gebildete junge Frau, deren herzliches und aufmerksames Verhalten einem ehemaligen Landsknecht gegenüber, der nicht einmal lesen konnte, so unerklärlich schien, dass er nicht wusste, was er von ihr halten sollte. Diese Zerrissenheit verschlimmerte sich, als ihm klar wurde, dass er sie vermisste, wenn sie nicht da war. Auch heute verspürte er eine ungeduldige Erwartung, weil er wusste, dass sie kommen würde, um ihm ein Buch in englischer Sprache zu bringen, mit dem er üben sollte. Pater Blackshaw hatte es bedauert, dass er nur französische und lateinische Bücher besaß, und deshalb entschieden, seinen Schüler zuerst in Französisch zu unterrichten.
Seit Amoret St. Clair ihm Mut zugesprochen hatte, arbeitete Breandán hart an sich selbst, um sein Temperament zu zügeln und geduldig zu lernen, auch wenn es ihn Überwindung kostete. Und als er bemerkte, dass es ihm tatsächlich gelang, fiel es ihm von Tag zu Tag leichter, sich an den Tisch zu setzen und konzentriert seine Übungen zu machen. Oftmals leistete Amoret ihm dabei Gesellschaft. Sie kam meist zu einer Zeit, wenn der Jesuit unterwegs war und Meister Ridgeway in der Werkstatt zu tun hatte, so dass sie zwangsläufig Stunden an Breandáns Seite verbrachte und ihn in die Geheimnisse der Schrift einweihte. Er begriff nicht, warum sie so viel Mühe für ihn aufwandte, aber er genoss es in vollen Zügen. Dabei machte er sich wenig Gedanken über ihren gesellschaftlichen Stand. Er hielt sie für eine wohlhabende Bürgersfrau, vielleicht eine Witwe ohne Kinder, die wenig Zerstreuung hatte, und die Tatsache, dass er Französisch mit ihr sprechen konnte, ließ ihn leicht vergessen, dass auch sie Engländerin war.
Das Rascheln der Bettvorhänge und ein herzhaftes Gähnen in seinem Rücken verrieten Breandán, dass John sich zu regen begann, doch er nahm keine Notiz von ihm, sondern sah weiterhin zum Fenster hinaus. Es folgte das Klappern des Nachtgeschirrs und schließlich ein anhaltendes Plätschern.
»Schon auf?«, rief der Geselle ihm zu. »Träumst wohl wieder von deiner Gönnerin!«
Es dauerte einige Augenblicke, bis dem Iren die Bedeutung des Wortes klar wurde. Abrupt wandte er sich um und sah John verständnislos an. »Gönnerin? Was meinst du damit?«
»Ach, sieh mal an, das weißt du nicht?«, antwortete John mit einem höhnischen Unterton. »Was glaubst du denn, warum Tim und ich weiterhin die Drecksarbeit machen müssen, während du auf deinem Arsch sitzen und büffeln darfst. Ursprünglich war es so gedacht, dass du dich nützlich machen und uns unter die Arme greifen solltest, aber da Lady St. Clair für dich bezahlt, brauchst du dir die Finger nicht mehr schmutzig zu machen.«
» Lady St. Clair?«, wiederholte Breandán verblüfft.
»Ja. Sag nur, das wusstest du auch nicht! Sie ist Hofdame und eine der Mätressen des Königs. Aber bilde dir bloß nichts
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