Die Richter des Königs (German Edition)
tugendhafte Bürgerin, sondern eine sinnliche, verführerische Frau, die alles andere als ein sittenstrenges Leben führte, und sie war plötzlich nicht mehr unantastbar. In seiner Vorstellung sah er sie in den prächtigen Kleidern aus Seide und Brokat, mit Spitzen und Bändern besetzt und mit Juwelen geschmückt, wie sie am Hof getragen wurden und wie man sie zuweilen an den Damen bewundern konnte, die in ihren herrschaftlichen Kutschen vor den Läden der Seidenhändler vorfuhren. Er malte sich aus, wie sie sich stolz durch die Gänge des Palastes bewegte, von Gecken umschwirrt, die sie und die anderen herausgeputzten Frauen mit anzüglichen Blicken überschütteten. Und wenn es den König nach ihr verlangte, führte er sie in sein Gemach, nahm sie in seine Arme und küsste ihre nackte Haut, die die Damen am Hof so freizügig zur Schau stellten – wie es hieß.
An diesem Punkt seiner Phantasie angekommen, verspürte Breandán ein Ziehen in der Magengegend und ballte die Hände zu Fäusten. Erst nach einer Weile gereizten Hämmerns auf die Tischplatte wurde er sich seiner Wut bewusst und lehnte sich mit geschlossenen Augen zurück, um sich zu beruhigen. Als hinter ihm die Tür geöffnet wurde und Amoret eintrat, hatte Breandán sich wieder ganz in der Gewalt. Dennoch bemerkte die junge Frau, dass offenbar etwas nicht stimmte, denn der Blick, mit dem er sie streifte, war kühl und verschlossen.
»Störe ich Euch?«, fragte sie einfühlsam. »Möchtet Ihr lieber allein sein?«
»Nein, Mylady!«, antwortete er schroff.
Er hatte also herausgefunden, wer sie war. Doch warum wirkte er so enttäuscht? Amoret legte Mantel und Maske ab und trat ungeniert an seine Seite.
»Ich muss Euch bitten, mich in diesem Haus nicht so anzureden. Ich bin als einfache Bürgersfrau hier, um Pater Blackshaws Tarnung nicht zu gefährden. Vergesst einfach, wer ich bin.«
»Wie Ihr wünscht, Madam.«
»Es scheint Euch zu missfallen, was Ihr über mich erfahren habt.«
»Weshalb bezahlt Ihr für meinen Unterhalt?«, fragte Breandán herausfordernd.
»Ach, das ist es! Fürchtet Ihr, versklavt zu werden, wenn Ihr die Großzügigkeit eines anderen annehmt? Ich versichere Euch, dass Ihr mir nichts schuldet. Warum soll ich das Geld des Königs nicht für etwas Nützliches aufwenden?«
»Jetzt verstehe ich auch, wie Pater Blackshaw es sich leisten konnte, meine Gefängniskosten zu bezahlen.« In Breandáns Stimme schwang ein seltsames Gemisch aus Ärger und Beschämung. Er war nicht zu stolz, die Barmherzigkeit des Priesters anzunehmen, doch die Vorstellung, von ihr bemitleidet zu werden, verletzte seine ohnehin wenig gefestigte Selbstachtung.
Amoret, die seine Gefühle nachvollziehen konnte, legte ihre Hand auf seinen Arm und sagte eindringlich: »Ich wollte Euch die Möglichkeit geben, ein besseres Leben zu führen als bisher, weil ich der Meinung bin, dass mehr in Euch steckt als nur körperliche Kraft und Geschicklichkeit. Ihr solltet Gelegenheit haben, Eure geistigen Fähigkeiten zu schulen.«
Doch es gelang ihr nicht, seine düstere Miene aufzuhellen. Er blieb ernst und unzugänglich. Um das anhaltende Schweigen zu brechen, trat Amoret zum Bett, nahm das Buch, das sie neben ihren Mantel gelegt hatte, und reichte es Breandán.
»Ich hatte Euch versprochen, Euch ein englisches Buch mitzubringen. Es ist Edmund Spensers ›Feenkönigin‹. Mein Vater hat so gerne darin gelesen, dass er mich nach einer der Figuren benannte.«
Der Ire nahm das Buch nach kurzem Zögern entgegen und schlug es auf. Amoret setzte sich unaufgefordert neben ihn. Dabei spürte sie mit einem Mal, dass ihre Nähe ihn nervös machte und dass er sie immer wieder verstohlen von der Seite betrachtete, als sähe er sie heute zum ersten Mal.
Sie übte eine Weile mit ihm Lesen, doch ohne großen Erfolg, denn es gelang Breandán einfach nicht, sich zu konzentrieren. Schließlich hielt sie es für besser, sich früher als sonst zu verabschieden und den Unterricht an einem anderen Tag fortzusetzen.
Als Amoret auf dem Weg nach unten an der Tür zu Meister Ridgeways Schlafkammer im ersten Stock vorbeikam, vernahm sie ein leises Stöhnen und hielt alarmiert inne, um zu lauschen. Doch einen Moment darauf begriff sie, dass es nicht der Klagelaut eines Kranken war, sondern das lustvolle Keuchen eines Pärchens. Neugierig näherte sie sich der Tür, die nur angelehnt war, und spähte durch den Spalt. Ein amüsiertes Lächeln kräuselte Amorets Lippen, als sie den Wundarzt
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