Die Ringe der Macht
Ansichtssache«, meinte er, um fortzufahren. »Sieh es dir genau an. Alles scheint ein einziger bearbeiteter Felsen zu sein. Nichts steht für sich allein, weil das Einzelne auf dem anderen aufbaut und jeder Teil zu dem Ganzen in Beziehung steht. Schau dir die Bogen da oben an«, und der Zwerg wies auf einen Punkt, der rechts von ihnen weit oben an einer Terrasse lag. Dort verbanden drei Torbogen auf drei Ebenen in elegantem Schwung über einem Einschnitt die Terrassen.
»Doch, schon beeindruckend, aber mir fehlen Gras, Bäume und Blumen«, sagte Marina. »Es ist nicht richtig so.«
»Das ist die Untererde«, sagte Burin, als ob das alles erklären würde; doch er verstand es selbst nicht. Schon beim ersten Blick auf diese Welt war ihm klargeworden, wie sehr sich die Zwerge der Mittelreiche von denen der Untererde entfernt hatten, wie viele Geheimnisse hier zurückgeblieben waren, als man sich entschloss, in den Reichen der Menschen zu siedeln. Die ersten Zwerge der Mittelreiche hatten offenbar auf vieles verzichtet.
Aber warum, fragte sich Burin. Das Leben in seiner Heimat könnte viel einfacher sein, wenn seine Vorväter damals ein paar der Geheimnisse der Untererde in die Mittelreiche mitgenommen hätte …
Ein Brummen, das allmählich lauter wurde, unterbrach den Fluss seiner Gedanken. Es klang vollkommen gleichmäßig. Es drang von den über ihnen liegenden Terrassen herab, sodass keiner von ihnen sehen konnte, was da auf sie zukam.
Das war kein Lebewesen!
Gwrgi und Marina sahen sich nach Deckung um, konnten keine finden und wollten zurück in die Halle laufen, aus der sie gekommen waren.
»Bleibt!«, hielt Burin sie zurück. »Dies hier ist die Untererde, und keinem Zwergen wird hier ein Leid geschehen. Und euch auch nicht. Dafür verbürge ich mich.«
»Sicher?«, fragte Gwrgi, der äußerst angespannt wirkte.
»Sicher«, sagte Burin, obwohl er sich dessen ganz und gar nicht sicher war; denn er hatte außer ein paar Überlieferungen, die unter den Zwergen von Mund zu Mund weitergegeben wurden, keinerlei Beweise. Und eben die Überlieferungen hatten, wie er inzwischen hatte feststellen können, einige der Wunder dieser Welt verschwiegen. Wer sagte ihm, worin sie wohl sonst noch fehlgingen?
Niemand, lautete die beunruhigende Antwort.
Unauffällig tastete Burin nach dem Schaft von Ynzilagûn, weniger, um sich auf einen Angriff vorzubereiten, sondern vielmehr, um sich selbst Mut zu machen. Seine Axt gab ihm immer das Gefühl von Sicherheit; sie war gut gegen alles, ausgenommen vielleicht die Schattenhunde … Die Schattenhunde.
Er merkte, dass er hier sogar an sie denken konnte. Und selbst wenn er in sich hineinlauschte, konnte er keine Spur ihrer tödlichen Ausstrahlung finden. Ihn schauderte allenfalls bei dem Gedanken an das, was sie ihm gezeigt hatten: wie die Steinwerdung von ihm Besitz ergriff, langsam, bei vollem Bewusstsein des nahenden Endes. Doch es war nun ein abstrakter Gedanke geworden, bar jeder Drohung, selbst bar jeder Angst. Hier in der Untererde gab es keine Schatten. Er fragte sich, was aus den Schattenhunden geworden war, als sie mit Gilfalas in den Strudel stürzten, und auf welchem tiefen Grund der Welt ihr Elbengefährte sein Ende gefunden haben mochte.
»Kommt«, sagte er und packte den Griff seiner Axt fester. »Zwergenwerk ist zwar für die Ewigkeit, aber was ein Zwerg schuf, kriegt ein anderer Zwerg auch kaputt.«
Das Brummen über ihnen wurde immer lauter, und jeder der drei Gefährten versuchte einen Blick auf das zu erhaschen, was ihnen da entgegenkam. Noch war nichts zu erkennen, aber wenn es zu ihnen wollte, würden sie es bald zu sehen bekommen; denn es kam offensichtlich in ihre Richtung. Gespannt blickten alle drei den Weg hinauf.
Burin spürte, wie sich Marinas Hand in die seine schob und ihn fest umklammerte. Gemeinsam, dachte er, lässt sich dem Ungewissen besser ins Auge sehen als allein. Dennoch hatte er kein Bedürfnis, auch Gwrgi in ihren Bund mit einzuschließen, und was das süffisante Grinsen betraf, das der Sumpfling aufsetzte …
Er wurde aus seinen Gedanken gerissen, als oben an der Straßenbiegung das Geräusch in ihre Richtung schwenkte. Die Kurve beschrieb einen weiten Zirkel, so dass es einen Moment dauerte, bis sie erkennen konnten, was es war. Marinas Händedruck verstärkte sich. Gwrgi grinste nicht mehr, sondern zog sein Messer.
Dann konnten sie es sehen, und ihnen allen stockte der Atem!
Was, beim Meister, war das?
Es schien über und
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