Die Ringe der Macht
sein.
Burin fluchte leise vor sich hin. Beim Meister, wo war er nur? Ringsum war immer noch nichts zu erkennen.
»Burin?«, ertönte die fragende Stimme Marinas rechts von ihm aus der Dunkelheit. Marina, die unentbehrliche Gefährtin, meldete sich, und Burin verspürte ein Kribbeln in der Magengegend, als er an sie dachte. Wurde ihm nun zu allem Überfluss auch noch übel? Das fehlte noch. Aber nein, dieses Kribbeln im Bauch war anders …
»Ja«, antwortete Burin in die Finsternis hinein und bewegte sich in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war.
Zumindest die kleine Ffolksfrau schien also das Abenteuer ebenfalls überlebt zu haben; er sah sie vor seinem inneren Auge, jede Einzelheit ihres kleinen, drallen Körpers, und er begann sich vorzustellen, wie …
Peng! Irgendetwas aus Stein war seinem Kopf im Weg, und er hatte es mit der Stirn erwischt. Diesmal ohne Helm. Mit einem Schmerzenslaut ging der Zwerg in die Knie. Tränen schossen ihm in die Augen, und der hämmernde Schmerz in seinem Kopf steigerte sich ins Unerträgliche.
Aber dann waren da diese Hände, die so fein und zart waren. Sie tasteten nach seinem Gesicht, nach seinem Kopf, und er wünschte sich einen verrückten Augenblick lang, dass es immer so sein mochte.
»Du musst vorsichtig sein, die Decke ist sehr niedrig«, sagte Marinas sanfte Stimme zu ihm. »Gwrgi und ich haben schon nach den anderen gesucht. Nun haben wir wenigstens dich gefunden. Folge mir einfach, halte dich an mir fest. Es wird bald heller.«
Burin fühlte, wie sich die Hand Marinas in die seine drängte und ihn mit sich zog. Der Zwerg hatte seine Lektion gelernt und ging gebückt, um nicht noch einmal missliebige Bekanntschaft mit etwas machen zu müssen, das härter war als sein Kopf.
Fast hatte er das Gefühl, Marina führe ihn durch ein Labyrinth, weil er mehrfach um scharfe Ecken herumgehen musste.
Dann konnte Burin einen Lichtschimmer ausmachen, und gleich darauf ließ Marina seine Hand los, was Burin mit einem gewissen Bedauern registrierte.
»Wo sein andere?«, quäkte dem Zwerg die vertraute Stimme Gwrgis entgegen.
»Ich weiß nicht. Burin war der Einzige in der Kammer.« Täuschte er sich, oder sprach Marina seinen Namen wirklich weicher aus? Oder hatte er vielleicht nur den Eindruck, weil er einen Schlag gegen den Kopf abbekommen hatte.
Burin brauchte ein paar Augenblicke, um sich an die Helligkeit zu gewöhnen. Er blinzelte vorsichtig in das Licht, das so hell war wie die Sommersonne, und bereute es gleich darauf, weil ihm der Kopfschmerz sofort umso mehr zusetzte.
Schließlich gewöhnten sich seine Augen an das taghelle Licht, das keinesfalls von der Sonne kam; denn der Himmel draußen war wintergrau. Sie befanden sich am Rande einer riesigen, steingefassten Terrasse, einem Hof, der mit großen sechseckigen Platten gedeckt war. Ringsum erhob sich polygonales Mauerwerk. Zwergenarchitektur ohne jeden Zweifel. Die Hämmer hatten dem Felsen Gestalt abgerungen.
Alles war Burin vertraut, aber zugleich doch fremd. Der Saal, in dem er sich nun befand, war reich mit Ornamenten geschmückt, geometrischen Bändern und Mustern, aber die Ausführung war anders, als er sie kannte. Er konnte nicht mit Bestimmtheit sagen, was an diesen Kunstwerken so seltsam war. Sie waren perfekt, vollkommen; er hätte nichts mehr daran verbessern können. So als hätten Zwerge nicht Hunderte von Jahren daran gewirkt, sondern Tausende, Zehntausende.
»Das hier ist nicht mehr Zarakthrôr«, sagte Burin. Er war sich sicher.
»Riechen anders«, bestätigte der Sumpfling eifrig nickend.
»Auch ich habe nicht das Gefühl, dass dies noch die Zwergenstadt ist«, sagte Marina und zog geistesabwesend ihr Messer hervor. »Leg dir das auf die Stirn, oder du wirst aussehen wie ein Einhorn. Die Wege fühlen sich anders an.«
Burin griff nach dem Messer, und flüchtig berührten sich ihre Hände; ihre Blicke kreuzten sich, und der Zwerg hatte das Gefühl, die kleine Ffolksfrau blicke ihm auf den Grund der Seele und würde seine geheimsten Gedanken erraten. Schnell wandte er den Blick ab und drückte den kalten Stahl ihres Messers an die Stirn.
Marina lächelte.
Der Himmel war bleigrau wie im tiefsten Winter, wenn sich Schnee ankündigt, aber es war keine Wolkendecke. Das Grau schien vielmehr die natürliche Farbe des Himmels zu sein, und mit jedem Augenblick, in dem sich Burins Kopf klärte, verdichtete sich das Wissen um diesen Ort in seinen Gedanken und in seinem Herzen.
Er spürte es. Er
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