Die Ringe der Macht
Betrachter erscheinen mochte, und das Zwielicht gaukelte dem Auge Dinge vor, die es nicht gab. War dies ein Riese, der sich aus der Dämmerung schälte? Ach, nur ein großer Stein! Bewegten sich dort nicht Gestalten lauernd in der Dunkelheit? Nein, es waren seltsam geformte Büsche im Nebel, von Ranken umhäkelt, durch die der Wind hindurchstrich.
Lange schon hatten die Gefährten nichts mehr von den Bolgs gehört oder gesehen. Die Anspannung, unter der sie alle standen, löste sich ein wenig. Die zunehmende Helle und die Tatsache, dass der Regen ausblieb, ließen sie alle ein wenig zuversichtlicher in die Zukunft blicken.
Sie hatten die unmittelbare Umgebung von Aldswick verlassen und den Gutsgürtel erreicht, der sich zwischen Aldswick und Winder dahinzog. Hier gab es statt einer Vielzahl kleinerer Gehöfte nur ein knappes Dutzend großer Güter, um die sich die Hütten der Tagelöhner drängten, dass sie fast schon kleine Dörfer bildeten. Außerdem fanden sich in den weitläufigen Ländereien vereinzelte Häuser von Pächtern, die mehr oder minder selbständig das Land bewirtschafteten. Zu den Gütern kamen noch mehrere Weiler, die sich hauptsächlich an der Straße zwischen den beiden Städten um Rasthöfe scharten.
Ihr Marsch jedoch führte weit abseits der Straßen und Wege, entlang der Hecken und im Schutz der gelegentlichen, der Holzgewinnung dienenden Haine, in einem langgestreckten Bogen gen Süden.
Über den fernen Gipfeln des Sichelgebirges im Osten, die noch im Dunst verborgen lagen, stieg die Sonne auf. Die Strahlen begannen den Frühnebel zu zerteilen, der in den dampfenden, regengetränkten Muren hing, und bald schon würde helles Tageslicht herrschen.
Die aufgehende Sonne verdrängte die Schatten der Nacht aus Kims Bewusstsein, und zum ersten Mal, seit sie aufgebrochen waren, begann er Gefallen an der Wanderung zu finden. Die Furcht vor den Bolgs und die düsteren Sorgen um Magister Adrion traten nach und nach in den Hintergrund.
Kims Blick glitt über das Land: Er sah die weiten Wiesen und Felder, die grünen, saftigen Auen im milden Licht der Morgensonne. Dieses sanft geschwungene Land war seine Heimat, und er fühlte, dass er in der letzten Zeit zu wenig davon gesehen hatte. Erst waren da seine Studien in Allathurion gewesen, dann der Dienst als Kustos des Ffolksmuseums. Schon überlegte er, ob er nicht nach seiner Rückkehr diesen oder jenen Vorwand finden mochte, um das Elderland zu bereisen.
Leise summte er ein Lied vor sich hin, das sie auf Wanderungen in den Vorlesungsferien immer gesungen hatten. Zu seiner Überraschung griff eine klare Stimme die Melodie auf, und er sah sich um. Es war Gilfalas, der dieses alte Wanderlied offensichtlich ebenso kannte, und schon fielen auch die anderen mit ein:
Wer jetzig’ Zeiten wandern will,
Muss haben ein frohes Herze,
Dann steht die Welt ihm nimmer still
In Freuden und im Schmerze.
Ob Regen, Wind und Sonnenglut:
Wir wollen nimmer weichen.
Was uns verheißt des Wetters Wut,
Das nehmen wir zum Zeichen:
Was uns des Morgens Nebel weist,
Der aus den Wiesen steiget,
Was uns der Horizont verheißt,
Der neue Tag uns zeiget.
»Ein schönes Lied«, sagte Marina, als der letzte Vers verklungen war. »Aber nun sollten wir rasten und den Tag in einer sicheren Deckung verbringen. Dort hinten, hinter dem nächsten Hügel, gibt es eine Hirtenhütte, die verlassen sein dürfte, da die Tiere jetzt auf den Weiden nahe der Höfe stehen, bevor sie für den Winter in die Ställe getrieben werden.«
Sie folgten Marina, und jeder der Gefährten begann nun zu spüren, wie sehr die Nacht an seinen Kräften gezehrt hatte. Die Müdigkeit und die Kälte kehrten zurück. Eine Rast in einer Hütte, mochte diese auch noch so ungemütlich sein, war eine verlockende Aussicht, bei aller Eile, die ihr Auftrag gebot.
Nur kurze Zeit später erreichten sie den von Marina bezeichneten Ort und sahen die Vorhersagen der kleinen Ffolksfrau bestätigt. Die Hütte war geräumt. In einer Truhe fanden sie Decken, und jeder machte sich ein Lager zurecht.
Aus den mitgenommenen Vorräten zauberte Marina noch eine kräftige Mahlzeit. Dazu gab es Wasser aus einem Bach, der hinter der Hütte seinen Weg zum Ander hin suchte.
Nach dem Essen wurde eine Pfeife genossen; Kim hatte es tatsächlich verstanden, Tabak und mehrere Pfeifen in seinem Rucksack unterzubringen. Während er noch an seiner Pfeife sog, fielen ihm vor Müdigkeit die Augen zu.
»Ich übernehme die erste Wache«, hörte er
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