Die Ringe der Macht
gingen sie zu Bett.
»Aufwachen, Herr!«, quäkte eine Stimme. »Aufwachen!«
»Gwrgi«, knurrte Burin. »Konntest du keine liebliche Maid schicken, die uns mit ihrer silberhellen Stimme weckt? Musstest du selbst kommen?«
»Gwrgi euch führen, Gwrgi euch wecken.«
»Was haben wir uns da nur aufgehalst?«, fragte Burin, an niemanden Bestimmten gewandt, und stemmte sich ächzend in die Höhe.
Kaum hatten sich die Gefährten gewaschen und angekleidet, als die Sumpflingsfrauen mit dem Frühstück erschienen.
Alle freuten sich darüber, dass ihre Sachen über dem Feuer getrocknet waren. Allein dafür hatte sich der Aufenthalt im Dorf gelohnt. Nun sah alles schon viel besser aus.
Wie Kim erkennen konnte, war es draußen noch dunkel. Aber mit dem untrügerischen Gespür, das sich nach mehreren Tagen in der freien Natur einzustellen pflegt, wusste er, dass die Sonne bald aufgehen würde. Er hoffte, dass ihre Wanderschaft von nun an unter einem günstigeren Licht stehen würde.
Gwrgi aß mit ihnen zusammen, was Burin nicht ohne Kommentar lassen konnte.
»Wer uns führt und wer uns weckt, der isst auch mit uns.«
»Genau«, hatte Gwrgi mit vollem Mund geantwortet.
Kim fiel auf, dass der Sumpfling auch in Hinsicht auf die Tischmanieren nicht als Vorbild für sein Volk herhalten konnte. Dazu war sein Schmatzen und Schlürfen eine Spur zu laut. Aber alles in allem schien Gwrgi ein interessanterer Zeitgenosse zu sein, als es zunächst den Anschein gehabt hatte. Vielleicht fand Burin, sagte sich Kim, in dem Wicht mit der quäkenden Stimme ja den Widerpart, den er so lange gesucht hatte. Denn trotz seiner schlichten Sprache schien der Sumpfling nicht auf den Mund gefallen zu sein.
Als sie schließlich vor die Hütte traten, war die Sonne zwar irgendwo im Aufgehen begriffen, aber wo, konnte niemand von ihnen genau feststellen, weil Nebel die ganze Welt in ein graues Tuch gehüllt zu haben schien.
»Nebel sein nich’ so schlimm«, verkündete Gwrgi aus vollem Hals. »Gwrgi schon mal Nase nich’ mehr sehen. Jetzt man drei, vier Schritt weit sehen. Reichen völlig!«
»Sein Wort in des Meisters Gehörgang«, ließ sich Burin vernehmen.
Der Häuptling trat vor, um Fabian und die anderen zu verabschieden. In seinem Blick lag Trauer, aber auch eine wilde Hoffnung. Kim wandte das Gesicht ab, weil er dem Blick dieser Augen nicht standzuhalten vermochte.
Kaum hatten die Gefährten das Dorf verlassen, da schloss sich rings um sie der Nebel. Zugedeckt wie von einem Leichentuch, schoss es Kim durch den Kopf, und er hoffte inständig, dass dieses Bild nicht Wirklichkeit werden würde.
Fröhlich quäkend führte Gwrgi sie durch den Nebel. Er war völlig in seinem Element. Die Gefährten warfen misstrauische Blicke auf den durchweichten Boden, aber da sie nicht versanken, gaben sie sich schließlich ganz in Gwrgis Hand. Was blieb ihnen auch übrig? Ohne den Sumpfling würden sie den Sumpf nie verlassen, sondern höchstens als Moorleichen enden.
»Hier, nehmen«, sagte Gwrgi plötzlich. Und er gab Fabian ein Seil. »Binden euch um Bauch, Kette bilden. Weg gefährlich.«
Jeder tat, wie ihnen geheißen, und so stapften sie wie an einer Kette aufgereihter Gänse durch den Sumpf. Kim konnte sehen, dass unmittelbar neben dem schmalen Steg Wasser blinkte. Einmal huschte etwas durch die schwarze Flut, das wie ein Aal aussah oder eine Schlange. Kim senkte den Blick und achtete genau darauf, wohin er seine Füße setzte.
Nach und nach schien es heller zu werden, aber die Sonne hatte noch nicht genügend Kraft, den Nebel aufzureißen. Kim kannte das von den Flussauen des Ander her, und er schätzte, dass die Sonne hier noch höher am Himmel stehen musste, um die grauen Schleier zu zerteilen. Es würde wohl Mittag werden, bevor sie die Herbstsonne zumindest als verwaschenen hellen Fleck am Himmel sahen. Dafür würde der Nebel wahrscheinlich noch vor Sonnenuntergang wieder steigen; aber das konnte ein schöner Anblick sein. Irgendwie freute sich Kim bereits darauf. Ein solcher Anblick, vielleicht schon von den Hängen des Sichelgebirges zu genießen, würde ein Gutteil des Ungemachs dieser Wanderung wettmachen.
Plötzlich knirschte Sand unter seinen Füßen. Sie mussten es geschafft haben, das Moor lag hinter ihnen. Jeder von ihnen atmete auf. Sie hatten die gefährlichen Sümpfe überwunden, ohne dass einer darin versunken war.
»Gwrgi euch führen noch Stück hinauf«, verkündete Gwrgi. »Dann euch verlassen und in Dorf
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