Die Ringe der Macht
niederschlägt, fügen ihm Fülle und Tiefe hinzu. Dann tritt er, nun zum Fluss geworden, auf das Hochplateau der Stufe hinaus, bahnt sich dort gewunden seinen Weg, glitzernd im Sonnenlicht, und fließt und strömt …
… und fällt!
Dreihundert Ffuß tief stürzt der Ander in einem einzigen, hohen Bogen die Stufe hinab ins Elderland, in das schäumende Andermaar, um sich von dort in die breite Ebene zu ergießen und zu dem ruhigen Fluss zu werden, als den das Ffolk ihn kennt – wenn nicht, wie vor sechzehn Jahren, das Hochwasser ihn auf ganzer Länge zum reißenden Strom macht und alle Wehre, die man im Laufe der Jahrhunderte gezogen hat, um der Naturgewalt Herr zu werden, nichts mehr gegen die Kraft des Wassers vermögen. So war es in Aldswick gewesen, am Zusammenfluss der beiden Flüsse Ander und Elder.
Kim versetzte es einen Stich, als er an seine Eltern dachte und an seine vagen Erinnerungen an Eldermünde, wo der mächtige Strom sich am Ende seines Weges, satt und träge geworden, mit dem Meer vereint.
Doch hier war die Macht des Flusses in schiere Schönheit gewendet, von der gleichen, gewaltigen Majestät, die Kim angesichts der hohen Berggipfel empfunden hatte, doch reiner, abstrakter, dass man nicht mehr entscheiden konnte, wo das Naturspiel begann und die Illusion endete. Silbern glänzte das Wasser des Andermaars, und golden waren die Blätter der Bäume in der späten Nachmittagssonne des Herbstes.
»Dieser Ort erinnert mich an jene Stelle, wo einst die Eloai erwachten«, sagte Gilfalas.
»Er erinnert dich … du meinst, noch so eine Erinnerung …?«
»Wir alle erinnern uns, jeder von dem Volk der Erweckten, wie wir zum ersten Mal der Herrin ansichtig wurden, begleitet von ihrem Geliebten, dem Herrn. Sie schritt durch ein Feld von Lilien, an jenem Ort, den wir Ithiaz Kelden nennen, die Wasser des Erwachens. Es gibt ein altes Lied unserer Volkes, in der Weise, die man als an-lâlaith bezeichnet, nach Art des Wellenschlags … Ich will versuchen, es in der Gemeinen Sprache wiederzugeben, so schwer es auch fällt, denn sie ist nicht so voll von Reimen und Lautungen wie die Sprache der Eloai.«
Er schwieg eine Weile, dann begann er leise in einer einfachen, wellenartig auf und absteigenden Tonfolge zu singen:
»An den Wassern des Erwachens
lag ich schlafend, lag ich träumend,
bei den Wellen, leise steigend
zu dem Klange hellen Lachens.
An den Wassern des Erwachens
durch ein Feld von Lilien schreitend
sah ich träumend, sah ich wachend
sie im Hellen, leise lachend
an den Wassern, sie geleitend.
Durch ein Feld von Lilien schreitend
sah ich ihn die Knie beugen,
war ich wachend, war ich schlafend
an den Schnellen, leise gleitend,
ihre Schönheit zu bezeugen.
Sah ich ihn die Knie beugen
an den Wassern des Erwachens,
fand ich steigend, fand ich neigend
gleich den Lilien, gleich den Wellen
leise schäumend, mich im Hellen
an den Wassern des Erwachens.«
Die Wasser des Andermaars sangen ihre eigene Melodie dazu, fallend und steigend.
»Darum träumen die Eloai immer von den Wellen. Sie träumen vom Meer, das ewig fließt, hin und zurück, doch niemals ankommt. Denn es ist wie sie. Wir sind die Kinder des Morgens, des Anbeginns, immer im Werden. Wir altern nicht, wir sterben nicht; wir kennen nur den Anfang, wie eine Blume, die stets im Erblühen begriffen ist …«
»Das ist schön«, sagte Kim. Die seltsamen Worte hatten ihn eingelullt, dass er selbst wie in einem Traum gefangen war, der erfüllt war von Licht. Fast glaubte er sie zu sehen, schimmernde Gestalten, ewig jung, ewig schön …
»… und zum Leben verdammt«, sagte Gilfalas, als ob er seine Gedanken gelesen hätte. In seiner Stimme lag ein Unterton, wie eine Dissonanz zu der klaren Melodie der Wellen. »Blüten, aus denen nie ein Same wird, nie eine Frucht. Eine Liebe, die niemals empfängt. Ein Licht, das niemals stirbt.«
»Und was ist daran falsch?« Es war Burin, mit seinem tiefen Bass. »Was ist gegen ein bisschen Spaß und Unbekümmertheit im Leben schon einzuwenden, ehe das Ende kommt?«
»Du verstehst das nicht, Zwerg«, sagte der Elbe. »Manchen ist das nicht genug. Es gab einige unter uns, die das wirkliche Leben suchten. Und so öffneten sie ein Tor in die Mittelreiche, die Welt der Menschen, die Welt, in der Leben und Sterben eins ist. Sie wollten selber neues Leben schaffen, wollten es werden und vergehen sehen. Einige von uns fanden ein neues Leben hier, bei den so seltsam kurzlebigen Menschen. Sie lernten
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