Die Ringe der Macht
um keinen Preis der Welt verpassen wollte. Würden doch alle hier Anwesenden in den nächsten Tagen und Wochen der umschwärmte Mittelpunkt ihrer Nachbarschaft, Verwandten und Freunde sein, wenn sie von dem Menschen und dem Zwerg berichten konnten, die nach Kimberon Veit suchten, jenem jungen Mann, von dem viele seltsame Dinge erwartet hatten. Nun wich die Enttäuschung, dass er die Erwartungen bisher nicht erfüllt hatte, gespannter Vorfreude. Denn ein so seltsames Paar wie diese beiden Besucher kam nicht nur und ging; nein, Unvorstellbares mochte Elderland erschüttern. Das war Stoff für einen Klatsch, der auch den Winter überdauern konnte.
Alle lauschten der Stimme des Wirtes, als er den beiden, die in tiefen Zügen, aber ohne Hast das würzige Dunkelbier tranken, den Weg zum Haus des Kustos im Schatten des großen Museumsbaus am Rande der Speicherstadt erklärte. Die Speicherstadt war eine Ansammlung von Lagerhäusern, wo alle Güter, welche auf Kähnen, per Ochsenkarren oder mit Eselskarawanen nach Aldswick kamen, eingelagert wurden, sofern sie nicht sofort auf den Markt gelangten. Diese Lagerhäuser waren durch Mauern verbunden und bildeten dadurch den westlichen Teil der Umfriedung, die den Flusshafen vom Rest der Stadt trennte. Warum ihre Ahnen diese Mauer erbaut hatten, wusste im Ffolk niemand mehr; denn Elderland war noch nie von einem Krieg verwüstet worden. Und mit der Zeit war durch die Liebe des Ffolks zu immer neuen Anbauten, Erkern, Bögen und Piedestalen – manche davon sinnvoll, manche nur von einer Zweckmäßigkeit ohne Zweck erfüllt – dieser Teil der Stadt von einem Festungsbau zu einem verschlungenen Labyrinth geworden, in dem sich nur der auskannte, der dort lebte.
Das Museum lag gleich neben den Lagerhäusern. Dort war seinerzeit, als das alte Museum aus allen Nähten platzte, der einzige freie Ort innerhalb der Stadt gewesen, der Raum für ein neues, größeres Gebäude bot. Andernfalls wäre nur noch die Möglichkeit geblieben, das Museum mitten auf dem Marktplatz, dem größten in ganz Elderland, zu errichten, und das hielt man dann doch für ein bisschen übertrieben.
Das war vor knapp vierhundert Jahren gewesen; dennoch hieß der Bau im Ffolksmund allenthalben nur das ›Neue Museum‹.
Veränderungen setzten sich beim Ffolk eben nur mit der Zeit durch – und auch das nicht immer.
Jeder in Aldswick kannte das Ffolksmuseum, und so fiel es Fflorin, dem Wirt, leicht, den beiden Fremden den Weg vom Marktplatz zum Museum zu erklären. Der Mensch und der Zwerg hörten aufmerksam zu, ja, es kam den Gästen im ›Pflug‹ vor, als schienen sie die Worte des Wirts beim Hören zu memorieren, wie es sonst nur Gelehrte tun.
»Habt Dank, Herr Wirt«, sagte der Mensch, der sich Fabian nannte, in formvollendeter Höflichkeit. »Wir werden uns sicher zurechtfinden.«
»Mein Knecht kann Euch und Euren werten Freund auch führen«, bot der Wirt ihm an. »Einige der Gassen sehen sich in der Dunkelheit ziemlich ähnlich, gerade jetzt, wo Neumond ist. Leicht hat man den falschen Weg eingeschlagen.«
»Nicht nötig, trotzdem habt vielen Dank für Eure Fürsorge«, entgegnete der Fremde. »Mein Freund hier sieht in der Dunkelheit recht gut. Und auch ich finde mich einigermaßen zurecht.«
Dann leerten beide ihre Humpen und verließen den ›Pflug‹ mit einem Lob auf das Bier und einem höflichen Gruß an die Anwesenden; aber bis auf den Wirt waren alle zu sehr gebannt, um diesen zu erwidern.
Die Tür fiel hinter den beiden ins Schloss. Die verbliebenen Gäste warteten noch zwei oder drei Lidschläge lang, den Blick fest auf die Tür geheftet – und dann ging der Tratsch los:
»Was wollen diese Fremden hier?« – »Diese Axt! Hast du die Axt gesehen?« – »Ein Mensch und ein Zwerg! Seltsame Zeiten!«
Alle sprachen durcheinander. Dann erhob Mart Kreuchauff seine Stimme.
»Habt ihr es gehört? Sie wollten zu Kimberon Veit, dem neuen Kustos! Habe ich euch nicht gewarnt, dass er seltsame Dinge bringt, der ausländische Neuling.«
Einen Augenblick schwiegen alle, und dann summte die Luft von all den Möglichkeiten und Mutmaßungen.
»Dort vorn muss es sein, Bubu«, sagte Fabian und deutete auf ein Haus, wo gleich aus mehreren Fenstern warmes Licht in die regenschwangere Neumondnacht drang.
Das Haus lehnte sich unmittelbar an einen riesigen Bau, der schwarz und bedrohlich in den Nachthimmel ragte. Von außen glich er einem der Speicherhäuser am Hafen: Auf einem mächtigen Sockel aus
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