Die Risikoluege
vergiften sich die dort lebenden Tiere über die Nahrungsaufnahme schleichend auch weiterhin. Erst durch intensives Erforschen derartiger Unglücke weiß man, dass die Erholung nach einem Ölunfall viel länger dauert als bisher angenommen.
Jörg Feddern von Greenpeace sagte am 20. Jahrestag hierzu: »Was kaum einer erwartet hat und wirklich erschütternd ist: Auch heute, 20 Jahre nach der Katastrophe, hat der Sound sich nicht erholt. Noch heute ist dort Öl zu finden. Zum Teil richtig frisches Öl, schätzungsweise 80 000 Liter in verschiedenen Regionen des Prince William Sound – so frisch, als sei der Unfall erst gestern passiert, und giftig wie eh und je.«
Hauptgrund hierfür dürfte sein, dass Öl bei niedrigen Temperaturen sehr schlecht abgebaut wird und nicht verwittert. Und weil viele Tiere, wie Seeotter oder bestimmte Seevögel, tauchen und auf dem Meeresboden nach Muscheln buddeln, wird Öl auch immer wieder ins Ökosystem zurückgebracht. Nach Einschätzung von Greenpeace wird es noch Jahrzehnte dauern, bis sich dieses Ökosystem vollständig erholt hat.
Exxon, eines der größten Industrieunternehmen der Welt, das als Schadensverursacher wochenlang die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zog, hat bei der Katastrophe eine miserable Figur abgegeben. Rücksichtslos gegenüber den Betroffenen, inkompetent in der Schadensbehebung und obendrein zögerlich in der Übernahme von Verantwortung – das war das Bild, das die Öffentlichkeit von dem Industriegiganten erhielt. Exxon musste sich von dem angesehenen US-Wirtschaftsmagazin Fortune Ratschläge erteilen lassen, bezeichnenderweise auch diesen: »Sag die Wahrheit – oder gar nichts. Niemand mag einen Lügner.«
In einer sich fast 19 Jahre hinziehenden gerichtlichen Auseinandersetzung gelang es dem Unternehmen immer wieder, sich Zahlungen zu entziehen. Erst 2008 ist Exxon zu einer Geldstrafe von 500 Millionen US-Dollar - statt fünf Milliarden US-Dollar, wie ursprünglich angesetzt – verurteilt worden, zu zahlen an die Geschädigten, die dort leben und vom Öl stark in Mitleidenschaft gezogen wurden.
»Für mich«, sagt Jörg Feddern, »ist das Urteil ein Schlag ins Gesicht dieser Menschen. Es zeigt wieder einmal, dass die Konzerne mit ihrer großen Macht, ihrem großen Einfluss und vor allem ihrem großen Geld so lange prozessieren
können, bis sie die Strafzahlung – mal ganz ehrlich – aus der Portokasse begleichen können.«
Die Exxon Valdez wurde repariert, aus Kostengründen aber nicht zu einem Doppelhüllentanker umgebaut. Stattdessen wurde für die gesamte Tankerflotte von Exxon eine Tochterfirma gegründet, die Sea River Maritime, die seitdem für eventuelle Unfälle die Verantwortung übernimmt, ohne dass der Name Exxon in Erscheinung tritt. Das Unglücksschiff fuhr dann einige Jahre unter dem Namen Exxon Mediterranean und ist, nachdem es Exxon gerichtlich untersagt wurde, als Tanker auf der alten Route zwischen Alaska und Kalifornien zu fahren, heute als Erzfrachter unter dem Namen Dong Fang Ocean unterwegs.
Nun hat es im Juli 2011 erneut eine ganz andere Ölkatastrophe gegeben, bei der Exxon wieder der verantwortliche Konzern war. Im Bundesstaat Montana flossen 120 000 bis 160 000 Liter Rohöl aus einer beschädigten Pipeline in den Yellostone-Fluss, nahe dem berühmten Nationalpark in den USA. Exxon wies sofort alle Schuld von sich mit dem schon klassischen Hinweis, die Pipeline sei erst vor Kurzem inspiziert worden. Immerhin war aus Befürchtung, das anhaltende Hochwasser des Yellostone River könne die unter dem Fluss verlegte Pipeline beschädigen, der Betrieb der Leitung im Mai vorübergehend unterbrochen. Man nahm ihn dann aber wieder auf, da das Risiko für gering erachtet wurde. Nach Expertenmeinung und dem tatsächlich eingetretenen Ereignis ist diese Einschätzung falsch gewesen und die Leitung vermutlich durch Steine oder Treibgut beschädigt worden. Wie dem auch sei, Übernahme von Verantwortung und Verständnis für die Sorgen der Bevölkerung sieht anders aus.
Und wieder einmal ist durch Unglücke dieser Art nicht zu Unrecht in der Öffentlichkeit der Eindruck entstanden, dass sich die meisten der sonst so professionell operierenden Unternehmen in außergewöhnlichen Krisensituationen ausgesprochen dilettantisch, arrogant und rücksichtslos gegenüber den Betroffenen verhalten. Und ich frage mich, wann in den Industrien endlich die alte Erfahrung verstanden wird, dass der Weg in die Unglaubwürdigkeit hinein sehr kurz,
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