Die Ritter des Nordens
darauf kehrte sie mit einer Holzschale voll Suppe zurück. Als mir der Essensgeruch in die Nase stieg, wurde mir sofort speiübel, doch ich konnte mich zurückhalten.
»Yf«, sagte sie, kniete neben mir nieder und bot mir die Schale an. Ich nahm das Gefäß mit zitternden Händen entgegen und hielt es sorgfältig fest, um es nicht fallen zu lassen oder mich zu bekleckern. In der dünnen Flüssigkeit schwammen ein paar Stücke Kohl und Lauch und noch anderes kleingeschnittenes Gemüse, das ich jedoch nicht identifizieren konnte.
Ich führte die Schale zum Mund und trank vorsichtig daraus, weil die Suppe noch heiß war. Doch die Flüssigkeit schmeckte mir nicht, was erstaunlich war, da ich schon seit Tagen nichts Richtiges mehr gegessen hatte.
»Danke«, sagte ich zu dem Mädchen, ohne weiter darüber nachzudenken, dass sie wahrscheinlich gar kein Französisch verstand.
»Annest wyf i«, sagte sie und zeigte auf sich selbst. »Annest. Pa enw yssyd iti?«
Annest – das war offenbar ihr Name. Ich wollte ihr schon sagen, wie ich hieß, doch dann schoss mir plötzlich etwas durch den Kopf. Falls Eadric und seine Männer in der Gegend nach mir suchten, würden sie sich bei den Leuten gewiss nach einem gewissen Tancred erkundigen. Deshalb beschloss ich, der Frau meinen Namen zu verschweigen.
»Seis?«, fragte sie und sah mich ernst an. Das Wort war eines der wenigen, die ich gelernt hatte, seit ich in den Marken lebte; es bedeutete »Engländer«.
Ich schüttelte den Kopf. Aber wie sollte ich ihr denn erklären, dass ich Franzose war, und dazu noch Normanne und Bretone zugleich? Das war alles so kompliziert, dass ich beschloss, lieber gar nichts von mir preiszugeben.
»Estrawn«, sagte sie. »Mi ath alwaf Estrawn.«
Ich verstand kein Wort. Offenbar war sie frustriert oder enttäuscht, weil ich ihre Sprache nicht verstand. Dann nahm ich wieder einen Schluck von der Suppe, und sie stand abrupt auf und ging hinaus. Ich nahm an, dass sie den Mann rufen wollte, der im Wald bei ihr gewesen war. Draußen regnete es immer noch, und vorne an der Tür hatte sich auf dem Boden eine Pfütze gebildet. Obwohl ich schon viel herumgekommen war, hatte ich noch nie ein so verregnetes und trostloses Land erlebt.
Ich versuchte aufzustehen. Ich musste unbedingt weiter, denn je mehr Abstand ich zwischen Eadrics und Bleddyns Häscher und mich brachte, umso unwahrscheinlicher war es, dass sie mich doch noch fanden. Doch ich war noch sehr unsicher auf den Beinen, und mir wurde schwindlig. Ich verlor das Gleichgewicht, kollidierte mit der Truhe, die neben meinem Lager stand, und fluchte laut.
In dem Augenblick kam Annest auch schon wieder mit dem älteren Mann herein. Die beiden halfen mir dabei, mich wieder auf das Bett zu setzen, und brachten mir noch eine zerschlissene Decke, die sie mir um die zitternden Schultern legten. Ich hatte immer noch rasendes Kopfweh und massierte mir die Stirn, um den Schmerz ein wenig zu lindern.
Annest brachte von draußen mehr Holz herein, bis das Feuer schließlich lichterloh brannte und mir allmählich wärmer wurde. In der Zwischenzeit kramte der Mann in der Kiste herum und brachte schließlich ein Stück Baumrinde zum Vorschein, von dem er ein daumengroßes Stück abschnitt und mir sanft in die Hand drückte. Als ich ihn fragend ansah, schnitt er noch ein Stück von der Rinde ab und schob es sich in den Mund. Dann kaute er demonstrativ darauf herum, um mir zu zeigen, was ich zu tun hatte. Ich tat es ihm gleich und kaute ebenfalls auf der harten, bitteren Borke herum. Auch Father Erchembald kochte manchmal ein Gebräu aus Wasser und getrockneter Weidenrinde, das angeblich gegen Fieber, Schwellungen und andere Gebrechen half. Anscheinend handelte es sich hier um etwas Ähnliches.
Ich kaute so lange auf der Rinde herum, bis mir der Kiefer weh tat; dann legte ich mich wieder hin. Bald ließen die Kopfschmerzen nach, und ich fiel wieder in einen tiefen Schlaf. Mein letzter Gedanke war, dass die Weidenrinde wohl auch dagegen half.
In den nächsten Wochen kümmerten sich die beiden rührend um mich: Annest und der Mann, der offenbar ihr Vater war und Cadell hieß. Zunächst verschlechterte sich mein Zustand sogar noch, und ich litt unter Übelkeit und hohem Fieber und hatte nur wenige wache, klare Momente. Noch nie in meinem ganzen Leben hatte ich mich so elend gefühlt. Doch nach einigen Tagen ließen die Schweißausbrüche und der Schüttelfrost langsam nach, und mein Appetit kam wieder. Die beiden
Weitere Kostenlose Bücher