Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)
ausgehungerte Lämmergeier.
Ich war schnellen Schrittes auf Mankiewicz zugegangen, wie es eben meine Art ist, und hatte dabei nur überlegt, was ich fragen wollte – und daher versetzte mir sein Vorwurf, »den Nerv zu haben, hier aufzutauchen«, einen grässlichen Schock. Der vielleicht in Sekundenschnelle vergangen wäre, wenn ich nicht im selben Augenblick realisiert hätte, dass vier üble Rüpel mit Drähten in den Ohren von meinem hektischen Auftritt so verschreckt waren, dass sie sich anschickten, mich vorsorglich ins Koma zu prügeln und Fragen erst später zu stellen.
Es war meine erste Konfrontation mit dem Secret Service. Während der anderen Vorwahlen waren keine SS-Agenten aufgetaucht, sondern erst in Wisconsin, und ich war noch nicht an eine Arbeitsatmosphäre gewöhnt, in der man sich einen gebrochenen Arm einhandelte, wenn man in Gegenwart eines Kandidaten eine falsche Bewegung machte. Diese Leute haben den Befehl, den Kandidaten zu schützen , Punktum, und sie sind wie hypernervöse Wachhunde darauf trainiert, beim ersten Anzeichen von Gefahr mit vollem Einsatz zu reagieren. Niemals zögern. Erst das Handgelenk brechen und dann die freien Rippen bearbeiten … und wenn sich der »Attentäter« später als leicht unkonventionell gekleideter Journalist entpuppt – nun, dann spricht man bei den SS-Jungs von »Fehlalarm«. Die Erinnerung an Sirhan Sirhan ist zu frisch, und noch gibt es kein verlässliches Profil potenzieller Attentäter … daher steht jeder unter Verdacht, einschließlich Journalisten.
All das schoss mir in Sekundenbruchteilen durch den Kopf. Ich sah das Szenario so ablaufen, aber vor lauter Anspannung versagte mein Hirn den Dienst. Erst das Theater mit dem Mustang, jetzt das hier … und am meisten irritierte mich, dass ich Mankiewicz bisher nie hatte lächeln sehen.
Aber jetzt lachte er sogar, und die SS-Wachhunde entspannten sich. Ich wollte lächeln und etwas sagen, aber mein Gehirn war noch im Leerlauf.
»Sie sollten sich ab jetzt lieber von meinem Haus fernhalten«, sagte Mankiewicz. »Meine Frau hasst Ihre Dreistigkeit.«
Du liebe Güte, dachte ich. Was geht denn hier ab? Irgendwo hinter mir hörte ich eine Stimme: »He, Sheriff! Hallo! Sheriff!«
Ich blickte über die Schulter zurück auf ein Meer mir unbekannter Gesichter, die mich allesamt anstarrten, und drehte mich schnell wieder zu Mankiewicz um, der noch immer lachte.
»Scheiße, wovon reden Sie?«, fragte ich. »Was hab ich Ihrer Frau denn getan?«
Er hielt lange genug inne, um sich einen mächtigen Happen aus dem kiloschweren Prime-Rib-Steak auf seinem Teller zu sägen, und sah dann wieder auf. »Sie haben mich einen kleinen zer knautschten Mann genannt«, sagte er. »Sie waren in meinem Haus zu Gast und haben meinen Whiskey getrunken, und dann haben Sie geschrieben, ich sei ein zerknautschter kleiner Mann, der aussieht wie ein Gebrauchtwagenhändler.«
»Sheriff! Sheriff!« Wieder diese verdammte Stimme, die mir irgendwie bekannt vorkam. Aber ich wollte mich nicht umdrehen und wieder von den Leuten anstarren lassen.
Dann löste sich der Nebel auf. Mir dämmerte plötzlich, dass Mankiewicz scherzte – für mich die vielleicht schockierendste und merkwürdigste Wendung im gesamten Wahlkampf 1972. Der Gedanke, dass jemand, der mit der McGovern-Kampagne zu tun hatte, tatsächlich in aller Öffentlichkeit lachen könnte, überstieg meinen Horizont. In New Hampshire hatte niemand die Lippen auch nur zu einem Lächeln gekräuselt, und in Florida war die Stimmung so schlecht, dass ich allein schon deswegen ein schlech tes Gewissen hatte, weil ich es miterlebte.
Auch Mankiewicz hatte sich in Florida wie ein Mann benommen, dem die Bastonade drohte … und daher war ich verwirrt und fast ein wenig nervös, ihn in Milwaukee mit diesem Grinsen anzutreffen.
Sollte er etwa stoned sein? War es schon so weit gekommen?
»Sheriff! Sheriff!«
Ich wirbelte herum, plötzlich wütend auf das Arschloch, das sich in dieser prekären Situation so rüde über mich mokierte. Inzwischen hatte ich schon völlig vergessen, was ich Mankiewicz eigentlich hatte fragen wollen. Der Abend nahm langsam kafkaeske Züge an.
»Sheriff!«
Ich fixierte den Tisch hinter mir, aber niemand verzog das Gesicht. Dann spürte ich eine Hand an meinem Gürtel. Jemand stieß mit dem Finger nach mir, und instinktiv wollte ich die Hand mit voller Wucht wegschlagen und den Dreckskerl fertigmachen … um mich gleich darauf zu entschuldigen: »Oh! Tut mir
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