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Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)

Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)

Titel: Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hunter S. Thompson
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Überzeugung kommen ließ, man müsse der Bedrohung durch Wallace unbedingt Einhalt gebieten. Sie befürchteten, dass Wallace auch in Wisconsin ein so peinliches und schockierendes Ergebnis wie in Florida einfahren könnte.
    Es bleibt schwer verständlich, wieso die Umfragen und die Politikstrategen und besonders ein gewiefter Experte wie Broder die Wählerschaft von Wallace so furchtbar unterschätzen konnten. Vielleicht verleitete die Drohung einer Anti-Wallace-Kampagne seitens der gewerkschaftlich organisierten Arbeiterschaft die Pressebeobachter zu der Annahme, der andere George sei in seine Schranken gewiesen und ungefährlich. Der Braintrust aus der obersten Etage von Wisconsins Gewerkschaften hatte die Theorie ausgebrütet, dass Wallace in Florida seinen mächtigen Schub besonders deswegen bekommen hatte, weil die liberale Opposition seinetwegen so hysterisch geworden war: Hätten die anderen Kandidaten ihn einfach totgeschwiegen und ihr eigenes Ding durchgezogen, wären höchstens halb so viele Stimmen für ihn zusammengekommen.
    Also entschied man sich in Wisconsin für die gegenteilige Taktik. Man ignorierte die Wahlkundgebungen von Wallace, die Abend für Abend an allen Ecken des Staates in vollen Sälen stattfanden. Mehr machte Wallace gar nicht – abgesehen von den paar Fernsehspots, die er schalten ließ –, und jede seiner Kundgebungen lockte mehr Menschen an, als die Hallen fassen konnten.
    Ich besuchte eine dieser Wahlversammlungen in der Serb Hall auf der Südseite von Milwaukee – einer Gegend, die nach Aussagen der Demoskopen voll und ganz Muskie gehörte. Serb Hall ist ein großes gelbes Backsteingebäude, das wie eine verlassene Schule aussieht, gegenüber einem Sentry Supermarket an der Oklahoma Street, ungefähr fünf Meilen von Milwaukees Innenstadt entfernt. Eine Hälfte der Halle gehört der »Lounge & Bowling Alley«, und die andere beherbergt ein Auditorium, das ungefähr 300 Leute fasst.
    Die Kundgebung in der Serb Hall war Wallace in letzter Minute auf den Terminplan gesetzt worden. Seine reguläre Wahlversammlung sollte um halb acht in einer weitaus größeren Halle in Racine abgehalten werden, ungefähr 50 Meilen weiter südlich … aber einer seiner Betreuer hatte offenbar entschieden, dass er sich bei einem Auftritt um fünf Uhr in der Serb Hall für den späteren Abend aufwärmen sollte, und zwar trotz des Risikos, polnische Fabrikarbeiter, die gerade erst von der Arbeit kamen, um diese Stunde schon mit politischen Parolen zu behelligen.
    Ich traf gegen halb fünf ein, um dem Hauptandrang zuvorzukommen und eventuell mit einigen Leuten, die ebenso früh waren wie ich, an der Bar zu plauschen … aber um halb fünf war es an der Bar bereits so gerammelt voll, dass ich kaum zum Tresen durchkam, um mein Bier in Empfang zu nehmen. Als ich den Arm dann nochmals ausstreckte, um zu bezahlen, stieß jemand meine Hand zurück. Und eine Stimme sagte: »Ist schon erledigt, Chef – bist unser Gast .«
    Während der folgenden beiden Stunden blieb ich in eine lockere Unterhaltung mit ungefähr sechs meiner Gastgeber verwickelt, die nichts Besseres zu tun hatten, als mir zu beteuern, dass sie dort waren, weil sie George Wallace für den wichtigsten Mann Amerikas hielten. »Dieser Typ meint es ehrlich«, sagte einer von ihnen. »Ich hab noch nie was für Politiker übrig gehabt, aber Wallace ist nicht wie die anderen. Er redet nicht um den heißen Brei herum, sondern nennt die Dinge beim Namen !«
    Es war das erste Mal, dass ich Wallace persönlich zu Gesicht bekam. Die Halle war nicht bestuhlt, sondern alle Besucher standen. Die Menge war schon elektrisiert, bevor er zu reden begonnen hatte, und als er fünf oder sechs Minuten von seinem Sermon abgespult hatte, kam es mir so vor, als hätte der Mistkerl abgehoben und würde frei über uns schweben. Ich musste an Konzerte von Janis Joplin denken. Wer an seiner Ausstrahlungskraft zweifelt, sollte dringend mal einen seiner Auftritte besuchen. Er ließ seine Zuhörer in der Serb Hall wie Marionetten nach Belieben tanzen. Sie lachten, feuerten ihn an, spendeten Beifall, schlugen einander auf die Schultern … es war eine frenetische Feuer-und-Schwefel- Predigt .
    Ach ja … ich höre unseren Fernkopierer Mojo Wire auf der anderen Seite des Zimmers hektisch jaulen. Crouse füttert ihn mit unserem Gekritzel, Seite um Seite. Greg Jackson, der Korrespondent von ABC, hatte die Maschine den Tag über bedient und uns in bester Bear-Bryant-Manier

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