Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)
angetrieben, doch dann war er nach New York geflogen, und jetzt sind wir auf uns allein gestellt.
Der Druck nimmt zu. Sinn ergeben die Texte nicht mehr. Längere Absätze sind entweder ganz verschüttgegangen oder zu sehr verhackstückt, um noch nachvollziehbar zu sein. Crouse hat der Faxmaschine soeben zwei aufeinanderfolgende, aber auf dem Kopf stehende Seiten in den Schlund gesteckt, und prompt folgt ein Ausbruch wütenden Gezeters von der Person, die draußen an der Westküste das Empfangsgerät bedient.
Und jetzt fängt das Mistding auch noch zu fiepen an … fiep … fiep, was bedeutet, dass es Hunger hat auf diese letzte Seite, was wiederum bedeutet, dass ich nicht die Zeit habe, mir in Bezug auf die Vorwahlen in Wisconsin der Weisheit letzten Schluss abzuringen. Aber das kann auch warten, denke ich. Wir sehen jetzt einer dreiwöchigen Ruhepause entgegen, bevor der nächste dieser verfluchten Albträume beginnt … und so finde ich ein wenig Zeit, über das nachzudenken, was hier geschehen ist. Indessen gibt es nur eins, dessen wir absolut sicher sein dürfen, und das ist: George McGovern ist nicht mehr länger der hoffnungslose, ehrbare Verlierer, als den man ihn bisher ansah.
Die echte Überraschung dieses Wahlkampfs ist laut Theodore White gestern Abend auf CBS-TV, dass »George McGovern sich draußen im Lande als einer der ganz großen Wahlorganisatoren der amerikanischen Politik erwiesen hat«.
Aber mit dem Aspekt der Geschichte befasst sich Crouse, und schon fängt die Faxmaschine wieder zu fiepen an. Also muss diese Seite abgeschickt werden, koste es, was es wolle … und sobald sie weg ist, sind wir auch weg … verlassen dieses Hotel wie die Ratten das sinkende Schiff.
Das einzige andere Problem besteht darin, die Bedeutung des seltsamen Verhältnisses zwischen George McGovern und George Wallace herauszufinden … aber das braucht seine Zeit. Selah.
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11. Mai 1972
Die Ankunft des Secrect Service hat den Wahlkampf drastisch verändert. Am Freitagabend so gegen sieben – drei Tage vor den Vorwahlen in Wisconsin – verließ ich meine trostlose Suite im Sheraton-Schroeder Hotel und fuhr auf die andere Seite der Stadt zum McGovern-Hauptquartier im Milwaukee Inn, einem angenehm abgelegenen Motel in einem Wohngebiet nahe am Lake Michigan. Die Straßen waren seit einem Schneesturm Anfang der Woche noch immer vereist, und mein gemieteter lila Mustang hatte keine Winterreifen.
Der Wagen, einer jener Klassiker aus Detroit, die montags von Junkies zusammengeschraubt werden, um uns abzustrafen, war äußerst schwer unter Kontrolle zu halten, wäre am liebsten vor jeder roten Ampel abgesoffen, und wenn ich auch nur ein klitzekleines bisschen zu viel Gas gab, tobte er los wie ein Maultier, das von der Tarantel gestochen Amok läuft.
Jede rote Ampel war eine potenzielle Katastrophe. Manchmal gelang es mir, so langsam loszufahren wie die anderen Verkehrsteilnehmer … doch an jeder dritten Ampel reagierte das gottverdammte, nutzlose Gefährt mit einer oder zwei Sekunden Verzögerung – als würde sie den anderen einen Vorsprung gewähren –, nur um dann mit Vollgas loszudonnern. Dann brach das Heck bis zur nächsten Kreuzung unkontrolliert über die ganze Straßenbreite hinweg aus.
Als ich das Milwaukee Inn erreichte, hatte ich die dreispurige Straße für mich. Jeder, der nicht unversehrt an mir vorübergezogen war, hatte sich nun vorsichtshalber hinter mir eingereiht. Hoffentlich hatte sich niemand mein Kennzeichen gemerkt, um mich als gefährlichen Säufer oder Drogensüchtigen anzuzeigen. Ich war mir sicher: Sobald ich wieder zu meinem Auto zurückkehrte, würde jeder Cop in Milwaukee die Anweisung bekommen haben, mich auf der Stelle festzunehmen.
Sheriff! Sheriff!
Diesen düsteren Gedanken hing ich nach, als ich den Speisesaal betrat und Frank Mankiewicz bemerkte, der an einem der hinteren Tische saß. Als ich näher trat, grinste er mich hinterhältig an und sagte: »Aha, Sie sind’s. Ich muss mich ja wundern, dass Sie den Nerv haben, hier aufzutauchen – nach dem, was Sie über mich geschrieben haben.«
Ich starrte ihn an und versuchte krampfhaft, meine Gedanken zu ordnen. In einem Umkreis von drei Metern verstummten an sämtlichen Tischen die Gespräche, aber mich machte der Trupp von vier Secret-Service-Leuten nervös, die hinter Mankiewicz und seinem Gast saßen und sich plötzlich aufplusterten, als wollten sie sich auf mich stürzen wie
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