Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)
das ist eine andere Geschichte. Was mir im Moment Sorgen bereitet – zusätzlich zu der bisher immer noch ungeschriebenen Saga der kalifornischen Vorwahlen –, ist die Wahrscheinlichkeit, mich so tief in die Politik verstrickt zu haben, dass ich nicht mehr realistisch über die schattige Veranda am Strand nachdenken kann, sondern nur noch im Zusammenhang mit der Ernennung zum Gouverneur von Amerikanisch-Samoa.
Viele Jahre lang habe ich nach diesem Posten getrachtet. Zeitweilig war er mein einziges Lebensziel. Unnachgiebig strebte ich danach, und entweder 1964 oder 65 schien er plötzlich zum Greifen nahe zu sein. Larry O’Brien, inzwischen Vorsitzender der Demokratischen Partei, war damals zuständig für die Vergabe von staatlichen Zuschüssen und Ämtern, und er gab mir guten Grund, daran zu glauben, dass meine Bewerbung von Erfolg gekrönt sein würde. Ich wohnte in Pierre, South Dakota, im Holiday Inn, als mich die gute Nachricht erreichte. Soweit ich mich erinnere, traf sie an einem Mittwoch ein, und zwar telegrafisch. Der Geschäftsführer des Hotels war außer sich vor Begeisterung. Er rief auf der Stelle ein Taxi und schickte mich in die Stadt in ein Textilwarengeschäft, wo ich sechs weiße Sharkskin-Anzüge kaufte – mit einer Kreditkarte von Sinclair Oil, die anschließend gesperrt wurde und mir eine Menge Ärger einbrachte.
Die Einzelheiten erfuhr ich nie, aber schließlich wurde offenbar – ganz am Schluss und nach einem schlimmen Kommunikationsabbruch –, dass O’Brien mich auf ganz miese Weise reingelegt hatte. Wie sich herausstellte, hatte er niemals auch nur die geringste Absicht gehabt, mich zum Gouverneur von Amerikanisch-Samoa zu ernennen, und als mir das schließlich bewusst wurde, machte es mich zu einem verbitterten Menschen und veränderte mein ganzes Leben. Wie George Metesky – der »irre Bomber«, der New York fünfzehn Jahre lang terrorisierte, um Con Edison heimzuzahlen, dass sie ihm eine zu hohe Rechnung geschickt und schließlich auch noch den Strom abgestellt hatten – veränderte ich komplett meine Lebensweise und kanalisierte meine sämtlichen Energien in die langfristige Planung radikaler Rachefeldzüge gegen O’Brien und die Demokratische Partei. Statt im Südpazifik in den Regierungsdienst zu treten, ver ließ ich Pierre, S. D., fluchtartig in einem schrottreifen Rambler und fuhr nach San Francisco – wo ich mich mit den Hells Angels zusammentat und beschloss, statt Diplomat lieber Schriftsteller zu werden.
Mehrere Jahre später zog ich nach Colorado, um in aller Ruhe meinem Leben nachzugehen. Aber O’Brien vergaß ich nie. In der Einsamkeit der Rockies hätschelte ich meine Rachegelüste … und sprach mit niemandem darüber, bis ich plötzlich im Sommer 69 eine Gelegenheit sah, der Demokratischen Partei in Aspen einen herben Schlag zu versetzen.
Dazu brauchte ich ungefähr 15 Monate, und anschließend war ich der Politik der Rache von Neuem hoffnungslos verfallen. Der nächste Schritt würde mich auf die nationale Ebene führen. O’Brien mischte in Washington ganz oben mit, gebot über eine Flucht von Büroräumen im Watergate und machte sich widerstrebend daran, eine Partei ohne richtigen Kandidaten und mit neun Millionen Dollar Schulden aus dem Jahr ’68 in den hoffnungslosen Kampf gegen Nixon zu schicken – einen Kampf, der nicht nur den Kandidaten (den Mann aus Maine, wie sie ihn nannten) demütigen, sondern auch die Partei zerstören würde, indem er sie in einen Strudel finanzieller und ideologischer Bank rotterklärungen stürzte, den sie niemals überleben könnte.
Wunderbar, dachte ich. Ich brauche nichts zu tun. Ich muss einfach nur zusehen und alles aufschreiben.
Das war vor sechs Monaten. Jetzt liegen die Dinge anders – und in der merkwürdigen Ruhe der ersten paar Tage, nachdem die Stimmen in Kalifornien gezählt worden waren, stellte ich fest, dass McGovern meine eigenen, sorgfältig ausgetüftelten Pläne sowie die aller anderen mit Ausnahme seiner eigenen durchkreuzt hatte, und plötzlich sieht alles danach aus, als müsste ich im November notgedrungen eine Wahlkabine betreten und mein Kreuz für den Präsidentschaftskandidaten der Demokratischen Partei machen. O’Briens Partei. Dieselbe Bande korrupter und Völker mordender Dreckskerle, die mich nicht nur vor acht Jahren in South Dakota den Anschaffungspreis für sechs weiße Sharkskin-Anzüge kostete und mich im August ’68 Knüppel schwingend und in Tränengaswolken durch Chicago
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