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Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)

Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)

Titel: Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hunter S. Thompson
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als ich ihn endlich in seinem Zimmer im Hotel Synaloa am Telefon erreichte.
    Das Einzige, was ihm zu schaffen machte, schwer zu schaffen machte, war die Tatsache, dass ich ihn wiederholt als einen 300-pfündigen Samoaner beschrieben hatte.
    »Was bist du eigentlich für ein Journalist?«, schrie er mich an. »Hast du denn nicht den geringsten Respekt vor der Wahrheit? Ich kann den gesamten Verlag ein für alle Mal ruinieren, weil man mich diffamiert , wenn man versucht, mich als einen dieser wasserköpfigen Südseebastarde darzustellen.«
    Die Presserechtsanwälte waren so bestürzt, dass sie in paranoides Schweigen verfielen. »Handelt es sich dabei vielleicht um irgendeinen geheimnisvollen juristischen Trick«, fragten sie sich, »oder ist dieser drogenverseuchte Freak tatsächlich so verrückt, dass er darauf besteht, für alle Zeiten offiziell mit einer der entartetsten und lasterhaftesten Figuren in der amerikanischen Literatur identifiziert zu werden?«
    War es denkbar, dass man seine wütenden Drohungen und Forderungen etwa ernst nehmen musste? Sollte es tatsächlich möglich sein, dass ein wohlbekannter praktizierender Anwalt nicht nur freimütig zugab, all diese grässlichen Verbrechen begangen zu haben, sondern auch noch darauf bestand, dass jedes einzelne schauerliche Detail als absolute Wahrheit verbürgt und dokumentiert wurde?
    »Warum nicht?«, antwortete Oscar. Und die Verzichtserklärung würde er nur unterzeichnen, so fügte er hinzu, wenn ihm die Anwälte garantierten, dass sowohl sein Name als auch ein passendes Foto von ihm an exponierter Stelle auf dem Schutzumschlag des Buches erschienen.
    Mit einem derartigen Verlangen hatten sie sich noch nie auseinandersetzen müssen – ein mutmaßlich geistig gesunder Anwalt, der sich rundweg weigerte, eine andere Version seines eindeutig kriminellen Verhaltens veröffentlichen zu lassen als die grausig nackte Wahrheit. Die einzige Konzession, zu der er bereit war, betraf seine Identität, die durchgängig im gesamten Buch als die eines »300-pfündigen Samoaners« bezeichnet war. Er könne die Zähne zusammenbeißen und das ertragen, sagte er, aber nur weil er verstehe, dass es unter diesem Termindruck keine Möglichkeit gebe, derart viele Korrekturen zu machen, ohne das halbe Buch auseinanderzureißen. Als Gegenleistung wolle er einen offiziellen Brief, der ihm garantiere, dass er auf dem Buchumschlag eindeutig identifiziert werde.
    Die Anwälte wollten davon nichts wissen. Nirgendwo in der Rechtsprechung gebe es einen Präzedenzfall für eine derartig abartige Situation … aber als sich der Termindruck verstärkte und Oscar sich weigerte, einzulenken, wurde immer offenkundiger, dass ohne einen Kompromiss nur noch die Möglichkeit blieb, das ganze Buch sterben zu lassen … und wenn das passierte, so warnte ich sie, dann hätte ich genug Plastikgabeln, um jeden Presserechtsanwalt in New York zu verstümmeln.
    Das schien die Angelegenheit zugunsten eines Kompromisses in letzter Minute zu regeln, und Angst und Schrecken in Las Vegas wurde schließlich der Druckerei übersandt, und zwar mit einem Bild von Oscar auf der Rückseite des Schutzumschlags, das ihn ganz klar als lebendes Vorbild für den monströsen »300-pfündigen samoanischen Anwalt« auswies, der schon bald sehr viel mehr öffentliches Interesse erregen sollte, als es sich irgendeiner von uns zu jener Zeit hätte träumen lassen.
    Alkohol, Haschisch, Blausäure, Strychnin sind nur verdünnte Lösungen. Das sicherste Gift ist die Zeit.
    – Emerson, Society and Solitude
    Die Anwälte verstanden nie, was Oscar im Sinn hatte, und damals verstand ich selbst es auch nicht. Eine der dunklen Seiten der Art von Journalismus, die ich normalerweise betreibe, besteht darin, die Wahrheit über »Kriminelle« zu schreiben, ohne sie auffliegen zu lassen – und in den Augen des Gesetzes ist jeder , der ein Verbrechen begeht, automatisch auch ein Verbrecher: der Hell’s Angel, der auf einer Autobahnausfahrt eine Ölspur legt, um einen verfolgenden Highway-Polizisten den Abhang hinuntersausen zu lassen, ebenso wie der Präsidentschaftskandidat, der in seinem Hotelzimmer einen Joint raucht, oder der gute Freund, der zufällig Anwalt ist und Brandstifter und obendrein auch noch ausgiebig dem Drogenmissbrauch frönt.
    Die Grenzlinie zwischen dem Schreiben der Wahrheit und dem Liefern verwertbarer Beweise ist hauchdünn – aber für einen Journalisten, der ständig unter hochgradig misstrauischen Kriminellen

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