Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)
so verdammt viel Schlaf?«
Rudy grinste und wandte sich ab. » Wir warten auf dich, Mann. Wir werden ’ne höllische Menge Bloody Marys trinken, und du weißt ja, welche Spielregeln wir hier haben.«
»Ist mir doch egal«, murmelte ich. »Ich muss erst mal duschen.«
Aber mein Zimmer hatte keine Dusche. Und jemandem war es in jener Nacht gelungen, einen blanken Kupferdraht über die Badewanne zu spannen und ihn unterhalb des Wasserbehälters außerhalb der Badezimmertür in eine Steckdose zu stecken. Aus welchem Grund? Beim Dämon Rum, ich konnte es mir nicht erklären. Hier schlief ich im besten Zimmer des Hauses, suchte eine Dusche und fand nur eine elektrifizierte Badewanne. Und keinen Ort, an dem ich mich rechtschaffen hätte rasieren können – im besten Hotel auf dem Strip. Schließlich schrubbte ich mir das Gesicht mit einem heißen Handtuch und ging auf die andere Straßenseite in die Sweetheart Lounge.
Oscar Acosta, der Chicano-Anwalt, war dort; lehnte an der Bar, unterhielt sich gemütlich mit einigen Gästen. Von den vier Leuten, die um ihn herumstanden – alle so Ende zwanzig – waren zwei ehemalige Sträflinge, zwei Freizeit-Dynamit-Freaks und bekannte Bombenleger, und drei von den vier galten als altgediente Acid-Heads. Dem Gespräch war derlei nicht zu entnehmen. Es drehte sich um Politik, und zwar ging es um Gerichtsprozesse. Oscar musste sich gleichzeitig mit zwei superpolitischen Prozessen abgeben.
In einem, dem Prozess der »Biltmore Six«, verteidigte er sechs junge Chicanos, die man verhaftet hatte, weil sie ungefähr vor einem Jahr eines Abends angeblich versucht hatten, das Biltmore Hotel niederzubrennen, als der Gouverneur dort im Ballsaal eine Rede schwang. Ihre Schuld oder Unschuld war inzwischen unerheblich geworden, weil sich der Prozess zu einem spektakulären Versuch entwickelt hatte, das gesamte Grand-Jury- Auswahlsystem infrage zu stellen. In den vorangegangenen Monaten hatte Acosta sämtliche Richter des Obersten Gerichtshofs von Los Angeles County vorladen lassen und sämtliche hundertundneun ins Kreuzverhör genommen und unter Eid zu ihrer »rassistischen« Befangenheit befragt. Dabei handelte es sich um einen niederträchtigen Affront gegen das gesamte Gerichtssystem, und Acosta machte Überstunden, um diesen Affront so niederträchtig wie möglich zu gestalten. Da saßen also diese hundertundneun alten Männer, diese Richter , und waren gezwungen, ihre normale Arbeit aufzugeben, sich in einen anderen Gerichtssaal zu begeben und sich dort der Anwürfe eines allseits verhassten Anwalts zu erwehren, der sie bezichtigte, »Rassisten« zu sein.
Oscars grundlegende Überzeugung war es, dass alle Grand Jurys rassistisch waren, weil alle Geschworenen von den Rich tern des Superior Court bestellt werden müssen, die natürlich eher Leute vorschlagen, die sie persönlich oder von Berufs wegen kennen, und dass deswegen kein hundsfottiger Chicano-Straßenlümmel auch nur die geringste Chance hatte, von »Geschworenen seines Standes« beurteilt zu werden. Die Implikationen eines Sieges in diesem Rechtsstreit waren so offenkundig bedrohlich für das Gerichtssystem, dass sich das Interesse an seinem Aus gang sogar bis zum Boulevard, zum Silver Dollar und zum Sweet heart verbreitet hatte. Normalerweise ist an Orten wie diesen das politische Bewusstsein nicht besonders ausgeprägt – schon gar nicht am Sonntagmorgen –, aber die bloße Anwesenheit Acostas, egal wohin er sich begibt oder was er zu tun scheint, ist so extrem politisch, dass jeder, der mit ihm reden möchte, sich etwas einfallen lassen muss, wie er mit ihm auf einer politisch bedeutsamen Ebene argumentieren kann.
Acosta arbeitet seit drei Jahren als Rechtsanwalt im Barrio. Ich hatte ihn schon kurze Zeit vorher kennengelernt – unter ganz anderen Umständen, die hier eigentlich kaum etwas zur Sache tun, außer, dass es vielleicht ein ganz klein wenig unfair wäre, diese ganze Geschichte bis zu ihrem bitteren Ende aufzutischen, ohne nicht wenigstens zu erwähnen, dass Oscar ein alter Freund und gelegentlicher Widersacher von mir ist. So viel für die Akten. Wenn ich mich recht erinnere, dann traf ich ihn zum ersten Mal in einer Bar namens »The Daisy Duck« in Aspen, wo er auf mich zugeschwankt kam und mich vollquatschen wollte mit so Sachen wie: »… man müsste das ganze System auseinanderfetzen wie einen mistigen Heuhaufen« oder zumindest so ähnlich … und ich weiß noch, dass ich dachte: »Na, da ist schon wieder
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