Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)
eine Präsidentschaftskandidatur Kennedys sprechen – zumindest nicht, bevor er es muss, aber dieser Zeitpunkt scheint sich schnell zu nähern. Es ist Teddy abzunehmen, dass er keine Kandidatur plant, aber es dürfte ihm und allen anderen schwerfallen, darüber hinwegzusehen, dass so gut wie jeder, der in Washington »etwas darstellt«, von den jüngsten Umfrageergebnissen der Gallup Polls fasziniert ist: Sie zeigen, dass Kennedy sich näher und näher an Nixon heranschiebt – ja, inzwischen fast gleichauf liegt, und dieser Aufwärtstrend lässt die anderen demokratischen Kandidaten in seinem sehr langen Schatten stehen.
In den Reihen der Demokraten macht sich verhaltene Verzweiflung breit bei der Aussicht, mit erprobten, aber halb garen Stümpern wie Humphrey, Jackson oder Muskie antreten zu müssen – und wieder geschlagen zu werden. Und George McGovern, der einzig wählenswerte Kandidat, hängt in der Schwebe, und das v erdankt er in erster Linie dem miesen Zynismus des Washingtoner Pressekorps. »Er wäre ein prima Präsident«, sagen sie, »aber gewinnen kann er natürlich niemals.«
Und warum nicht?
Nun … die Schlauberger machen sich nicht die Mühe, das näher zu erklären, aber ihre Argumentation scheint sich aus der vagen Vermutung zu speisen, dass die Leute, die McGovern zum Präsidenten machen könnten – jene riesige & verworrene Koalition aus Studenten, Freaks, Schwarzen, Kriegsgegner-Aktivisten & lethargischen Aussteigern –, es für zu lästig halten, sich ins Wählerverzeichnis eintragen zu lassen, und erst recht keine Lust haben, sich am Wahltag an die Urnen zu schleppen.
Mag ja sein … aber es fallen einem kaum Kandidaten aus der jüngeren Geschichte ein, denen es nicht gelang, das heute die »McGovern-Stimmen« genannte Wählerpotenzial an die Urnen zu holen, vorausgesetzt, sie repräsentierten diese Wählerschaft tatsächlich.
Todsicher waren es nicht die Gewerkschafter der AFL-CIO, die 1968 LBJ aus dem Weißen Haus trieben – und Gene McCarthy war es auch nicht. Es waren die Wähler, die in New Hampshire für McCarthy stimmten und damit Johnson schlugen … und es war nicht George Meany, der mit Bobby Kennedy in Los Angeles von Kugeln getroffen wurde, sondern ein abtrünniger »radikaler« Organisator von den United Auto Workers.
Es waren nicht die großen »Bosse der Demokraten«, die Bobby in Kalifornien den Vorwahlsieg einbrachten – sondern Tausende Nigger und Spics und weiße Friedensfreaks, die es satthatten, mit Tränengas malträtiert zu werden, weil sie anderer Meinung waren als der Mann im Weißen Haus. Niemand hatte sie im November an die Urnen schleppen müssen, um Nixon zu schlagen.
Aber da war, natürlich, der Mord – und dann der Parteitag in Chicago und schließlich ein Schwachkopf namens Humphrey. Er kam an bei den »respektablen« Demokraten, damals und jetzt – und wenn Humphrey oder einer seiner schmierigen Sorte 1972 kandidiert, nimmt es ein schlimmes Ende wie beim Eisenhower/Stevenson-Debakel.
Die Leute, die sich für Bobby stark gemacht haben, sind immer noch da – zusammen mit den Millionen anderen, die zum ersten Mal wählen werden –, aber sie werden sich nicht für Humphrey stark machen oder Jackson oder Muskie oder irgendeinen Neo-Nixon-Schmock. Sie werden sich noch nicht einmal für George McGovern einsetzen, wenn die Alleswisser von der landesweiten Presse ihn weiterhin einen hehren Verlierer nennen.
Laut Gallup Polls machen die Subkultur-Stimmen dem Wahlkampf von Ted Kennedy furchtbar viel Dampf; und diese Tendenz versetzt die Großkopferten und Profis beider Parteien in Alarm. Allein die Nennung von Kennedys Namen verursacht bei Nixon angeblich schlimme Ganzkörperkrämpfe. Seine Büttel legen schon los damit, Kennedy mit üblen Denunziationen zu geißeln – nennen ihn einen »Lügner« und einen »Feigling« und einen »Schwindler«.
Und jetzt haben wir erst Dezember 1971 und bis zur Wahl sind es noch zehn Monate.
Der Einzige, der wegen Kennedys jüngster Umfragewerte nervöser als Nixon ist, scheint Kennedy selbst zu sein. Er räumt nicht einmal ein, dass die Werte steigen – zumindest nicht offiziell –, und die wichtigsten Leute in seinem Stab, wie Jim Flug, sind zu einem öffentlichen Drahtseilakt verdammt. Sie ahnen, was ihnen bevorsteht – vielleicht schon allzu bald, aber auch daran können sie nichts ändern. Solange sich der Boss wegduckt und darauf besteht, kein Kandidat zu sein, versuchen seine Leutnants, sich von den
Weitere Kostenlose Bücher