Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)
Polizeiwache kriechen zu müssen.
Es ist unmöglich, hier »rassistische Untertöne« zu vermeiden. Die schlichte Wahrheit ist, dass Washington eine vorwiegend von Schwarzen bewohnte Stadt ist und dass die meisten Gewaltverbrechen daher von Schwarzen begangen werden – nicht immer an Weißen, aber doch häufig genug, um die relativ reiche weiße Bevölkerung mit höchster Nervosität auf jeglichen sozialen Kontakt mit ihren schwarzen Mitbürgern reagieren zu lassen. Nach nur zehn Tagen in dieser Stadt muss ich feststellen, dass dieses Angstsyndrom auch schon mein Hirn vernebelt: Ich ignoriere schwarze Tramper und frage mich jedes Mal: »Scheiße, warum machst du das?« Und dann verspreche ich mir: »Also, den nächsten nimmst du aber mit.« Und manchmal tu ich das, aber nicht immer …
Meine Ankunft in der Stadt wurde von keinem Gesellschaftsreporter erwähnt. Soweit ich mich erinnere, war es kurz nach Tagesanbruch, als ich Washington entgegenzuckelte – mit kleinem Vorsprung vor der Rushhour-Blechlawine der Fahrgemeinschaften von Regierungsangestellten, die in den Maryland-Vorstädten aufgebrochen war. Auf der äußersten rechten Spur des U.S. Interstate 70S krauchte mein Volvo wie ein amputierter Mistkäfer voran, massiv behindert durch den orangefarbenen »U-Haul«- Anhänger voller Bücher und »wichtiger Papiere«, den er im Schlepp tau hatte … und kam mir peinlich langsam vor und überfordert dazu, denn er war für solche Plackerei einfach nicht geschaffen.
Er ist eigentlich recht spritzig, der Kleine, und zählt zu den Bes ten, wenn es über Holperpisten, durch Schlamm & Schnee geht … aber sogar dieser neue Sechs-Zylinder-Super-Volvo tut sich schwer, 1000 Kilo Krempel quer durchs Land von Woody Creek, Colorado, nach Washington, D. C., zu befördern. Der Tacho zeigte 2155 Meilen an, als ich in Maryland einfuhr und die Sonne über Hagerstown aufging …
WILLKOMMEN IN WASHINGTON, D. C. Das steht auf einer riesigen Steintafel, die ungefähr sechs Meter breit und drei Meter hoch ist, von Scheinwerfern beleuchtet wird und am Anfang der Sixteenth Street aufragt, gleich hinter der Grenze von Maryland. Die Straße ist fünfspurig, mit üppigen grünen Bäumen auf bei den Seiten und ungefähr 1300 unkoordiniert geschalteten Ampeln zwischen hier und dem Weißen Haus.
Es gilt nicht als schick, direkt im »The District« genannten Viertel zu wohnen, außer man findet in Georgetown ein in die Jahre gekommenes Stadthaus aus Backstein mit vergitterten Fens tern für ungefähr 700 Dollar Monatsmiete. Georgetown ist Wa shingtons lahme Antwort auf Greenwich Village. Aber doch nicht so ganz. Es ist eher wie die Altstadt von Chicago, wo die tonangebenden Bürger geistig minderbemittelte Playboy -Redakteure sind, die ihre maßgefertigten Joints rauchen. In Georgetown bestimmt der gleiche Schlag von Leuten die Szene – Schickimickianwälte, Journalisten und Bürokraten, die Stammgäste in einer Handvoll holzgetäfelter Bars und »Singles Only«-Diskotheken sind, in denen die Drinks 1,75 Dollar kosten und Mädels, die Hotpants tragen, keinen Eintritt zahlen.
Ich wohne auf der »schwarzen« Seite des Rock Creek Park, in einer Gegend, die meine Journalistenfreunde »Randgruppenbezirk« nennen. Fast jeder, den ich kenne oder mit dem ich beruflich zu tun habe, wohnt entweder in den grünen Vorstädten Virginias oder drüben auf der »weißen« Seite des Parks, in Richtung Chevy Chase und Bethesda in Maryland.
Die Subkultur wuchert verstreut in ihren diversen abgelegenen Bastionen, und einzig und allein im Bereich um den Dupont Circle in der Innenstadt kommt es zu einer Überschneidung. Meine einzigen Bekannten, die dort wohnen, sind Nicholas von Hoffman und Jim Flug, Teddy Kennedys hyperaktiver »Legislative Assistant«. Aber von Hoffman scheint von Washington die Nase voll zu haben und überlegt, nach San Francisco an die Küste zu ziehen … und Flug richtet sich wie jeder andere, der auch nur am Rande mit Kennedy zu tun hat, auf ein besonders heftiges Jahr ein: 20 Stunden täglich am Telefon und die restlichen vier im Flugzeug.
McGovern & die Schlauberger von der Presse
Jetzt, da der Dezember zu Ende geht, verstärkt sich die Atmosphäre nervöser politischer Angst in Washington. Man brütet in fiebriger Verzweiflung, wie man Nixon und seine Kumpane ausschalten kann, bevor es ihnen gelingt, die Machtübernahme zu vollenden, die sie vor drei Jahren in Angriff genommen haben.
Jim Flug sagt, er wolle lieber nicht über
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