Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)
geweigert, seine Haltung zur rassenintegrierten Busbeförderung von Schulkindern zu ändern – ein Thema, das sich nach Ansicht der Nixon/Wallace-Wahlstrategen bis Mitte des Sommers zum wichtigsten Streitpunkt des Wahlkampfs ausweiten wird –, ein Kernproblem, über das inbrünstig voller Gift und Galle gestritten wird und bei dem sich alle Politiker vor Angst in die Hose pissen, weil sie sich nicht drücken können … Aber McGovern machte den Leuten mit aller Deutlichkeit klar, dass er für die gemeinsame Busbeförderung weißer und schwarzer Schulkinder war. Und das nicht, weil es wünschenswert sei, sondern weil es »ein Preis ist, den wir für ein Jahrhundert der Rassentrennung in unseren Wohnungsbauprogrammen zu zahlen haben«.
Solche Sachen will im Jahr allgemeiner Wahlen niemand hören – besonders kein arbeitsloser Anti-Gravitations-Systemingenieur mit einer untilgbaren Hypothekenlast auf ein Haus bei Orlando … oder ein polnischer Stahlarbeiter in Milwaukee mit drei Kindern, die unsere Bundesregierung jeden Morgen durch die Stadt in eine Schule voller Nigger karren will. McGovern ist unter den wichtigen Kandidaten – einschließlich Lindsay und Muskie – der Einzige, der ausnahmslos klare Antworten gibt, wenn die Menschen diese Fragen stellen. Er formuliert die bittere Wahrheit, und der Lohn, den er dafür erntet, ist derselbe, den sich jeder Politiker einhandelt, der die Wahrheit ausspricht: Er wird verspottet, verteufelt, ignoriert und sogar von guten alten Kumpels wie Harold Hughes als hoffnungsloser Verlierer im Stich gelassen.
Dem Anschein nach ist das »McGovern-Problem« der eindeutige Beweis für die Überzeugung liberaler Zyniker, dass in der amerikanischen Politik kein Platz ist für einen ehrlichen Menschen. Was wahrscheinlich stimmt: Wenn man es denn für selbstverständlich hält – zusammen mit McGovern und den meisten seiner Anhänger –, dass »amerikanische Politik« gleichbedeutend mit dem traditionellen Zwei-Parteien-System ist: den Demokraten und den Republikanern, den »Ins« und den »Outs«, der Partei an der Macht und der loyalen Opposition.
Das ist die Formel, für die sich Larry O’Brien, der Vorsitzende der National Democratic Party, für dieses Jahr entschieden hat – und er sagt, er kann beim besten Willen nicht verstehen, warum die Hauptquartiere der Demokraten von Küste zu Küste nicht aus allen Nähten platzen vor lauter feuchtäugigen Jungwählern, die von der jüngsten Parteibotschaft total angeturnt sind.
In Washington »einen losmachen«
Die jüngste Gallup-Umfrage besagte, dass sich Nixon & Muskie ein Kopf-an-Kopf-Rennen liefern, doch bei näherer Betrachtung verrieten die Zahlen, dass Muskie mit knapp einem Prozent zurücklag – also kündigte er Hals über Kopf seine Mitgliedschaft im Congressional Country Club (»Nur für Kaukasier«) in den pferdevernarrten Vororten bei Cabin John, Maryland. Diese schmerzliche Entscheidung traf er Ende Januar, zu ungefähr derselben Zeit, als er auf Nixons »Schluss mit dem Krieg!«-Empfehlung loszudreschen begann.
Als ich Muskie in jener Woche im Fernsehen sah, musste ich daran denken, was Exsenator Ernest Gruening (D-Alaska) beim »Rad/Lib Caucus« in Massachusetts als offizieller Sprecher McGoverns gesagt hatte. Gruening war einer der beiden Senatoren, die 1964 gegen die »Tonkin-Resolution« stimmten – jene Resolution, die LBJ unbeschränkte Vollmacht einräumte, alles erdenklich Notwendige zu tun, um den Krieg in Vietnam zu gewinnen. (Nur Wayne Morse aus Oregon stimmte noch dagegen … und sowohl Gruening als auch Morse unterlagen, als sie sich 1966 der Wiederwahl stellten.)
In Worchester stapfte Ernest Gruening auf die Bühne wie ein Golem in Zeitlupe. Er ist fünfundachtzig, und federnde Schritte geben seine müden Knochen nicht mehr her – aber am Podium erhob er die Stimme wie ein Rachegott.
»Ich kenne Ed Muskie seit vielen Jahren«, sagte er. »Ich habe ihn immer für einen Freund gehalten … aber es geht mir einfach nicht aus dem Sinn, dass in all den Jahren, in denen wir uns mehr und mehr in diesen Krieg verstrickt haben und immer mehr unserer Jungs gefallen sind … Ed Muskie geschwiegen hat.«
Gruening versäumte es zu erwähnen, wo McGovern am Tag der »Tonkin«-Abstimmung gewesen war … aber ich weiß noch, dass jemand auf der Pressetribüne im Assumption College sagte: »Ich kann ja McGovern verzeihen, dass er die Tonkin-Chose vermasselt hat, denn schließlich hatte das Pentagon gelogen –
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