Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)

Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)

Titel: Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hunter S. Thompson
Vom Netzwerk:
Chicago zu mieten und sechzehn Tage am Stück zu fixen – und dann in Washington anzutanzen mit einem Notizbuch voller geschliffener Aperçus zur »Stimmungslage im Mittleren Westen«.
    Indessen sitze ich in Washington fest, warte auf das nächste Flugzeug nach irgendwo und frage mich, was in Gottes Namen mich überhaupt veranlasst haben mochte, hier aufzulaufen. Das Ding hier ist nämlich nicht gerade das, was wir Journalisten einen »Knüller« nennen.
    Zuerst dachte ich, es läge an mir, und ich verpasste das, was wirklich abging, weil ich nicht die richtigen Drähte hatte. Aber dann las ich die Storys der oberschlauen Topjournalisten, die ihre Drähte haben , und merkte sehr schnell, dass die meisten von ihnen nur Zeilen schinden, weil ihre Verträge verlangen, dass sie jede Woche eine bestimmte Anzahl Wörter abliefern.
    Daraufhin versuchte ich, mit einigen der Leute ins Gespräch zu kommen, von denen sogar die ganz Schlauen behaupteten, »sie hätten die totale Übersicht«. Aber sie wirkten allesamt äußerst deprimiert und pessimistisch nicht nur im Hinblick auf die Wahl 1972, sondern auch auf die Zukunft der Politik und Demokratie in Amerika insgesamt.
    Das ist aber nicht wirklich die Frage, mit der wir uns in diesem Moment herumschlagen sollten. Es ist so stinklangweilig, über diesen Präsidentschaftswahlkampf zu berichten, dass ich es kaum ertrage. Das ist der Kern des Problems … und nur eins ist noch schlimmer, als auf Wahlkampftour zu gehen und mit besoffenem Kopf von Rede zu Rede gekarrt zu werden: nach Washington zurückzukehren und darüber schreiben zu müssen.

Die Aussicht von Key Biscayne
    16. März 1972
    Zu den wichtigsten Erfolgseigenschaften eines Berufspolitikers gehört ein tief verwurzeltes Misstrauen gegenüber der Presse – und dieser Zynismus wird von den meisten Reportern nur allzu bereitwillig mit gleicher Münze zurückgezahlt. Vor fünfzig Jahren gab H. L. Mencken die Devise aus: »Nur auf eine Weise sollte der Reporter auf einen Politiker schauen – von oben herab .«
    Diese Ansicht ist im Verhältnis zwischen Politikern und einflussreicher Presse noch immer ein bestimmender Faktor. Auf niedrigerer Ebene – unter Leuten wie den »innenpolitischen Redakteuren« bei Zeitungen in Pittsburgh und Omaha – gibt es zwar die Tendenz, erfolgreichen Politikern mit einem gewissen Maß an ehrfürchtigem Respekt zu begegnen. Doch unter Journalisten, die ausreichend Status besitzen, um über Präsidentschaftswahlkämpfe berichten zu dürfen, herrscht die Überzeugung vor, alle Politiker seien geborene Diebe und Lügner.
    Gewöhnlich trifft das auch zu. Oder ist zumindest ebenso gültig wie der Konsens unter Politikern, die Presse sei eine Schweineherde. Beide Seiten dürften der Ansicht beipflichten, dass die jeweils andere gelegentlich Ausnahmen hervorbringt, welche die Regel bestätigen, aber die allgemeine Voreingenommenheit ist unerschütterlich … und nachdem ich mich auf beiden Seiten des hässlichen Zauns befunden habe, möchte ich zustimmen …
    Im Moment befinde ich mich jedoch weder hier noch dort, sondern scheine mal wieder vom Weg abgekommen zu sein, aber diesmal kann ich mir nicht den Luxus erlauben, lang und breit über alles zu schwadronieren, was mir in den Sinn kommt. Damit ich nicht noch einen Abgabetermin versiebe, will ich diesen Erguss auf die Schnelle mit 500 extrem markigen Wörtern runtersudeln … denn mehr Platz habe ich nicht, und in zwei Stunden muss ich mein rumgetränktes rotes Cabrio über den Rickenbacker Causeway nach Downtown Miami und anschließend zum Flughafen jagen – um irgendwann John Lindsay in Tallahassee oder Atlanta zu treffen, je nachdem welche Anschlussflüge ich erwische: Es ist diese Woche so gut wie unmöglich, aus Miami raus- oder nach Miami reinzukommen. Sämtliche Flüge sind seit Langem ausgebucht und Hotels/Motels so hundsgemein heftig überbucht, dass laut Miami Herald Massen wütender Touristen in den Lobbys der Herbergen, die ihnen Unterkunft verweigern, allmählich »aufmüpfig werden«.
    Glücklicherweise habe ich im Royal Biscayne Hotel meine eigene geräumige Suite gleich neben dem neuen Ressort für Innenpolitik.
    Als die Lage in Washington zu heftig wurde, blieb mir keine Wahl, als mit meinem Ressort an einen Ort umzuziehen, der bessere Arbeitsbedingungen bot. Alle stimmten mir zu, dass die Veränderung schon lange überfällig war. Nach drei Monaten Washington kam ich mir vor, als hätte ich drei Jahre lang in einem Bergwerk

Weitere Kostenlose Bücher