Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)
Jetzt ist die Saison vorüber, die Schäfchen sind ins Trockene gebracht, und Thomas sieht einer Haftstrafe von zwei bis zwanzig Jahren wegen Drogenbesitzes entgegen.
Natürlich erwartet niemand, dass er tatsächlich ins Gefängnis wandert, andererseits glaubt auch niemand, dass er nächstes Jahr wieder für Dallas spielen wird … ein paar sogenannte Sportexperten, die angeblich genau wissen, was in der NFL abläuft, glauben, dass er für niemanden spielen wird; offenbar ist der Präsident der NFL ziemlich wütend darüber, dass Thomas die von der Regie rung finanzierten Anti-Drogen-Werbespots lächerlich gemacht hat, die letzten Herbst ständig im Fernsehen gezeigt wurden.
Diese Spots kamen überall gut an, aber möglicherweise fand sie nicht jeder besonders überzeugend. Auf Anordnung des Weißen Hauses wurden mehrere Millionen Dollar dafür ausgegeben, Dutzende namhafter Spieler dazu zu bringen, in die Kamera zu starren, mit dem Zähneknirschen aufzuhören und zu sagen, dass sie Drogen jeglicher Art hassen würden … und dann stellt sich heraus, dass der beste Runningback der Welt ein gottverdammter, unkontrollierbarer Drogensüchtiger ist.
Die fünf W
Was hiermit zunächst überhaupt nichts zu tun hat. Offenbar sind wir wieder abgeschweift. Aber warum nicht? Ab und zu muss man sich mal von dem hässlichen Politiktrip frei machen, sonst tritt man irgendwann gegen die Wände und wirft seine AR-3-Lautsprecher ins Kaminfeuer.
Frust bietet das Leben zuhauf, aber mit welchem Wort soll man das Gefühl beschreiben, das einen überfällt, wenn man nach einer Woche auf Achse müde und derangiert nach Hause kommt und 28 fette Zeitungen auf dem Schreibtisch findet: sieben Washington Posts , sieben Washington Stars , sieben New York Times , sechs Wall Street Journals und ein Suck … die gelesen, exzerpiert, ausgeschnitten, archiviert und korreliert werden wollen … und dann kleingehackt, verbrannt, eingestampft, um schließlich zum Entsetzen der Nachbarn auf der Straße zu landen.
Nach zwei oder drei Wochen dieses Wahnsinns fühlt man sich eng verbunden mit jenem Mann, der sagte: »Keine Nachricht ist eine gute Nachricht.« Nur mit allergrößtem Glück gelingt es einem, in 28 Zeitungen zwei oder drei Artikel aufzustöbern, die ansatzweise interessant sind … aber diese interessanten Stellen sind meistens irgendwo tief im 16. Absatz vergraben oder nur auf der Fortsetzungsseite zu finden …
Die Post bringt einen Bericht über eine Rede, die Muskie in Iowa hält. Der Star handelt dasselbe Thema ab, und im Journal steht kein Wort darüber zu lesen. Aber die Times hat eventuell genug Platz auf der Fortsetzungsseite für ein paar Zeilen, in denen es ungefähr heißt: »Als er seine Rede beendet hatte, brach Muskie in Tränen aus und ging seinem Wahlkampfmanager an die Gurgel. Sie rangelten miteinander, aber ihr Handgemenge wurde kurz darauf abgebrochen, und zwar durch eine orientalische Frau, die mit großer Autorität dazwischenging.«
Das nenne ich guten Journalismus. Absolut objektiv, dynamisch und auf den Punkt. Aber wir müssen noch mehr wissen. Wer war diese Frau? Warum haben sie sich gestritten? Wohin hat man Muskie gebracht? Was sagte er gerade, als das Mikro ausfiel? Mist, was war denn nur das fünfte W? Jeder Journalist in Amerika kennt die »Fünf W«. Aber im Moment fallen mir nur vier ein: »Wer, Was, Warum, Wo« … und, ja natürlich! … »Wann«.
Zum Teufel, so eine Meldung zwickt doch die Neugierdrüse … und schon denkst du, die Zeit ist gekommen, dich auf die Socken zu machen: Pack den 419-Dollar-Elefantenlederkoffer von Abercrombie & Fitch; verschick die Telefone und den Scanner und Tape Viewer mit Separate Float, pack alles andere in den superleichten Magnesiumknappsack … ruf ein Eiltaxi zum Flughafen; und dann nichts wie dorthin, wo, wie Gerüchte besagen, was los ist …
Nicht mehr und nicht weniger wird von der Leserschaft erwartet. Sie verlangt nach einem Mann, der quer durchs Land düst wie eine gottverdammte Fledermaus auf Speed, der von Flug hafen zu Flughafen rast, von einer Krise zur nächsten – die neues ten Nachrichten aufsaugt und ausspuckt, geordnet nach den »Fünf W« und so verpackt, dass jeder sie versteht.
Warum auch nicht? Angesichts einer Wahrheit, die so dumpf und deprimierend ist, besteht die einzige passable Alternative in Ausbrüchen von wildem Wahnwitz und filigraner Tüftelarbeit. Oder darin, fortzufliegen und nichts zu schreiben; ein Zimmer am Stadtrand von
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