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Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)

Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)

Titel: Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hunter S. Thompson
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Abschlussauftritt in Miami zu sabotieren, und dass »Sheridans« viehisches Benehmen im Bahnhof Ergebnis dieses wohldurchdachten Verschwörungsplans war, hinter dem Rubin, der Internationale Yippie-Braintrust und ich steckten.
    Diese Theorie war offenbar von Leuten aus Muskies Stab ausgeheckt worden, die den anderen Reportern weismachen wollten, zwar schon immer gewusst zu haben, dass ich üble Absichten hegte, sie wären aber dennoch bereit gewesen, mir noch eine Chance zu geben – aber jetzt sehe man ja, was dabei herausgekommen war: eine menschliche Zeitbombe hätte ich in den Zug geschmuggelt.
    So eine Story ist nur schwer aus der Welt zu schaffen, weil die Leute, die an einem Präsidentschaftswahlkampf mitarbeiten, derart konditioniert sind, an allen Fronten – und eben auch bei den Journalisten – mit Heimtücke und Verrat zu rechnen, sodass ein Fiasko wie das im Bahnhof von Miami von ihnen unmöglich anders verstanden werden kann als im Kontext einer Verschwörung. Warum sonst würde ich denn einem durchgedrehten Alki und Knastbruder meine Presseakkreditierung geben ?
    Genau … warum?
    Sofort kommen einem die verschiedensten Gründe in den Sinn, aber den entscheidenden kann nur jemand verstehen, der zwölf Stunden lang mit Muskie und seinen Leuten in einem Wahl kampfzug von Whistle-Stop-Rede zu Whistle-Stop-Rede durch Flo rida gefahren ist.
    Wir fuhren gegen neun in Jacksonville ab, nachdem Muskie bereits zu mehreren Busladungen schwarzer Teenager und zu einigen gewerkschaftlich organisierten Damen mittleren Alters gesprochen hatte, die zum Bahnhof gekommen waren, um sich von Senator Muskie sagen zu lassen: »Es ist Zeit, dass alle guten Amerikaner sich hinter jemandem sammeln, dem sie trauen können – nämlich mir.«
    Anschließend fuhren wir weiter nach Deland – eine Fahrt von zwei Stunden –, wo Muskie vor ungefähr zweihundert weißen Teenagern sprach, denen man schulfrei gegeben hatte, damit sie sich von dem Kandidaten sagen ließen: »Es ist Zeit, dass alle guten Amerikaner sich hinter jemandem sammeln, dem sie trauen können – nämlich mir.«
    Dann zuckelten wir weiter nach Sebring, wo eine aufgeregte Schar von ungefähr 150 Senioren bereitstand, den Mann aus Maine willkommen zu heißen und seine pointierte Botschaft zu empfangen. Als der Zug in den Bahnhof einfuhr, trat Roosevelt Grier aus dem Dienstwagen auf die Plattform und versuchte, die Anwesenden darauf einzustimmen, mit ihm ein paar Strophen von »Let the Sunshine In« zu singen.
    Dann trat der Kandidat ins Freie, nahm Griers Applaus entgegen und lächelte den TV-Kameramännern zu, die 100 Meter zuvor abgesetzt worden waren, damit sie dem Zug vorauseilen und aufbauen konnten … um Muskie dabei zu filmen, wie er den Menschen einhämmert, dass »es Zeit ist für die guten Amerikaner usw. usw. usw. …«
    Indessen mischten sich die Muskie-Mädels – flott in ihren dreifarbigen Vorkriegshäschenkostümen – unter die Leute, sagten nette Sprüche auf und verteilten rot-weiß-blaue Ansteckknöpfe, auf denen »Trust Muskie« stand und »Believe Muskie«.
    Nachmittags kam es dann im Zug zu einem ernst zu nehmenden moralischen Problem. Mindestens die Hälfte der anwesenden nationalen Journaille hatte sich inzwischen dem ungehemmten Trunk hingegeben. Einige hatten ihre eigenen Texte bereits durchgegeben, aber die meisten gaben sich damit zufrieden, den vorformulierten Text von Big Eds »Whistle-Stop-Rede« zu überfliegen, und ließen es dabei bewenden. Der Zug setzte sich in Richtung Süden in Bewegung, die Muskie-Mädels teilten Sandwichs aus, und O. B. McClinton, der »Schwarze Ire der Countrymusik«, bemühte sich, die Leute zum fröhlichen Gemeinschaftssingen in den Salonwagen zu locken.
    Es dauerte eine Weile, aber irgendwann hatte sich eine Gruppe versammelt. Einer von Muskies College-Typen übernahm das Regiment: Er wies den Schwarzen Iren an, was er spielen sollte, gab den anderen Mitgliedern des Wahlkampfstabs ein Zeichen und stimmte dann die erste von mindestens neunzehn Strophen des neuesten Wahlkampfsongs von Big Ed an: »He’s got the whole state of Florida … In his hands …«
    Es reichte, und ich ging. Es war Nixon in Reinkultur und glich so sehr einer Pep-Rally in einem Club junger Republikaner, dass ich mich an ein Gespräch erinnerte, das ich zuvor mit einem Reporter aus Atlanta geführt hatte. »Stellen Sie sich vor«, sagte er, »es hat mich fast einen gottverdammten halben Tag gekostet, herauszufinden, was mich an

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