Die Romanow-Prophezeiung
Leben gerissen. Unser Auftrag besteht nun darin, das Unrecht der darauf folgenden Jahre wieder gutzumachen und diesem Volk wieder einen Zaren zu geben. Das Volk hat diese Kommission gewählt, damit sie die Person bestimmt, die dieses Land regieren soll – eine Entscheidung, die in der Geschichte nicht ohne Präzedenzfall ist. Schon einmal, im Jahr 1613, kam eine andere Gruppe von Männern in diesem Raum hier zusammen, um den ersten Herrscher der Romanows zu bestimmen. Seine Familie herrschte bis ins zweite Jahrzehnt des zwanzigsten Jahrhunderts über dieses Land. Und nun haben wir uns hier versammelt, um das Unrecht, das damals geschehen ist, wieder gutzumachen.
Gestern Abend haben wir zusammen mit Adrian, dem Patriarchen von ganz Russland, gebetet. Er rief Gott an, uns bei unserem Unterfangen zu leiten. Ich erkläre vor allen Zuhörern, dass die Leitung dieser Kommission eine faire, offene und rücksichtsvolle Zusammenarbeit anstrebt. Diskussionen sind willkommen, denn nur so können wir zur Wahrheit gelangen. Und nun wollen wir mit unserer Arbeit beginnen.«
Lord verfolgte geduldig die Sitzung, die den ganzen Vormittag dauerte. Die Kommission verbrachte die Zeit mit einleitenden Bemerkungen, parlamentarischem Prozedere und der Festlegung der Tagesordnung. Die Delegierten einigten sich darauf, am nächsten Tag eine erste Kandidatenliste vorzulegen, wonach ein Repräsentant einen persönlichen Kandidaten vorschlagen konnte. Über einen Zeitraum von drei Tagen sollten weitere Kandidaten vorgeschlagen und über ihre Wahl debattiert werden. Am vierten Tag würde man dann in einer ersten Abstimmung die Liste auf drei Kandidaten begrenzen. Nach einer weiteren Runde intensiver Diskussionen sollte dann zwei Tage später die Endabstimmung erfolgen. Nur bei dieser war gemäß des Volksreferendums Einstimmigkeit erforderlich. Bei allen vorherigen Abstimmungen genügte die einfache Mehrheit. Falls man sich nach diesen sechs Tagen nicht auf einen Kandidaten einigen konnte, würde die ganze Prozedur wieder von vorn beginnen. Es schien jedoch Einigkeit zu herrschen, im nationalen Interesse alles zu tun, um schon beim ersten Anlauf zu einem Ergebnis zu kommen.
Kurz vor der Mittagspause zogen sich Hayes und Lord aus dem Paradesaal in die Vorhalle zurück. Hayes führte Lord zu einem Hintereingang, wo der grobschlächtige Chauffeur vom Morgen wartete.
»Miles, das ist Ilja Zenow. Er wird Ihr Leibwächter sein, wenn Sie den Kreml verlassen.«
Lord musterte den Russen, dessen ausdrucksloses Gesicht ihm eiskalt vorkam. Der Nacken das Mannes war so breit wie sein Unterkiefer, und Lord empfand seinen athletischen Körperbau als beruhigend.
»Ilja wird auf Sie aufpassen. Er hat die besten Referenzen, war früher bei der Armee und kennt sich in der Stadt hervorragend aus.«
»Ich weiß das sehr zu schätzen, Taylor. Wirklich.«
Hayes lächelte und warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »Es ist schon fast zwölf, und Sie müssen zum Briefing. Ich bleibe vorerst noch hier, werde aber im Hotel sein, wenn Sie anfangen.« Hayes wandte sich an Zenow. »Sie passen auf diesen jungen Mann auf, genau wie wir es besprochen haben.«
9
12.30 Uhr
Als Lord den Konferenzsaal des Wolchow betrat, hielten sich in dem fensterlosen Saal bereits drei Dutzend konservativ gekleidete Männer und Frauen auf. Alle waren mit Getränken versorgt. Wie im ganzen Hotel roch die warme Luft nach Aschenbecher. Ilja Zenow wartete draußen gleich hinter der Doppeltür zum Foyer. Die Nähe des stämmigen Russen wirkte beruhigend auf Lord.
Die Gesichter, die er vor sich sah, wirkten besorgt. Er wusste, was diese Leute beunruhigte. Sie waren von Washington dazu ermutigt worden, im neuen Russland zu investieren, und hatten den Verlockungen dieses jungen Marktes nicht widerstehen können. Doch die fast durchgängige politische Instabilität, die täglichen Bedrohungen durch die Mafija und die Schutzgelder, die einen immer größeren Teil der Gewinne auffraßen, hatten aus vielversprechenden Investitionen wahre Albträume werden lassen. Die Anwesenden waren Vertreter der bedeutendsten in Russland engagierten amerikanischen Investoren aus dem Transport- und Bauwesen, der Getränke-, Bergbau- und Ölindustrie, der Telekommunikation, dem Fastfoodbereich, dem Bankwesen und der Computerbranche. Pridgen & Woodworth war mit der Wahrung ihrer kollektiven Interessen beauftragt worden, weil sie alle auf Taylor Hayes vertrauten, der als knallharter Verhandlungsführer
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