Die Romanow-Prophezeiung
tue. Ist der Transfer bereits gelaufen?«
Das Zögern seines Gegenübers signalisierte eine gewisse Irritation. »Ich bin solche Direktheit nicht gewohnt.«
Was nicht ausgesprochen wurde, aber dennoch klar war, war, dass Stalin eine solche Direktheit von einem Ausländer nicht gewohnt war. Hayes entschied sich, taktvoll vorzugehen, obwohl auch er irritiert war. »Das sollte keineswegs respektlos klingen. Aber die Zahlungen wurden nicht wie vereinbart geleistet, und ich bin nun einmal daran gewöhnt, dass Abmachungen auch eingehalten werden.«
Auf dem Tisch lag ein Blatt Papier. Stalin schob es zu ihm hinüber. »Das ist das von Ihnen gewünschte neu eröffnete Konto in Zürich. Dieselbe Bank wie zuvor. Fünf Millionen US-Dollar. Heute Morgen eingegangen. Somit sind alle bis heute fälligen Zahlungen geleistet.«
Hayes war erfreut. Schon seit zehn Jahren vertrat er die amerikanischen Ableger der russischen Mafija . Millionen von Dollars waren über nordamerikanische Finanzinstitute gewaschen worden – sei es, dass man sie in legale Geschäfte investierte, für die dringend Kapital benötigt wurde, oder aber man kaufte Aktien, Gold oder Kunst. Pridgen & Woodworth hatten durch diese Vertretung Millionen an legalen Honoraren verdient – legal dank einer Kombination aus großzügigen amerikanischen Gesetzen und noch großzügigeren Beamten. Niemand wusste, woher das Geld kam, und bislang hatten diese Aktivitäten bei den Behörden keinerlei Misstrauen erregt. Hayes hatte seine Kontakte dazu genutzt, seinen Einfluss in der Firma zu vergrößern. Er hatte zahlreiche ausländische Klienten gewonnen, die sich an ihn wandten, weil er es verstand, im neuen Russland Geschäfte mit der Angst zu machen, und erkannt hatte, dass selbst Unsicherheit Vorteile bringen konnte, wenn man wusste, wie sie zu verringern war. Und genau das tat er.
Stalin grinste. »Das wird ganz schön profitabel für Sie, Taylor.«
»Ich sagte Ihnen ja, dass ich diese Risiken nicht aus Spaß eingehe.«
»Offensichtlich nicht.«
»Gestern sagten Sie, ich solle bei dieser Geschichte eine größere Rolle spielen. Was meinten Sie damit?«
»Wie ich schon sagte, werden wir gewisse Dinge in die Hand nehmen müssen, und Sie sind jemand, der jederzeit seine Hände in Unschuld waschen kann.«
»Ich möchte aber gern wissen, was Sie mir verschweigen.«
»Das spielt im Augenblick wirklich keine Rolle. Es gibt keinerlei Anlass zu Besorgnis; wir ergreifen einfach nur gewisse Vorsichtsmaßnahmen.«
Hayes griff in seine Hosentasche und zog die Karte hervor, die Stalin ihm am Vortag gegeben hatte. »Werde ich gezwungen sein, dort anzurufen?«
Stalin lachte in sich hinein. »Gefällt Ihnen etwa die Vorstellung, dass sich auf Ihren Befehl hin andere in den Fluss stürzen würden?«
»Ich möchte nur wissen, warum ich auf diese Leute angewiesen sein könnte.«
»Hoffen wir mal, der Fall tritt gar nicht erst ein. Und jetzt erzählen Sie mir was über die künftige Machtverteilung. Was wurde dazu in der heutigen Sitzung gesagt?«
Hayes beschloss, die Sache auf sich beruhen zu lassen. »Alle Macht wird vom Zaren ausgehen. Aber darüber hinaus sind auch ein Ministerrat und eine Duma vorgesehen, die zu Rate gezogen werden müssen.«
Stalin dachte darüber nach. »Anscheinend ist die Wankelmütigkeit Teil unserer Natur. Monarchie, Republik, Demokratie, Kommunismus … nichts davon funktioniert hier wirklich.« Er hielt inne und fügte dann lächelnd hinzu: »Gott sei Dank.«
Dann stellte Hayes die Frage, die ihm wirklich unter den Nägeln brannte. »Und was ist mit Stefan Baklanow? Spielt er mit?«
Stalin schaute auf seine Armbanduhr. »Ich bin davon überzeugt, dass Sie darauf bald eine Antwort bekommen.«
11
Landgut Grüne Lichtung
16.30 Uhr
Hayes bewunderte das Gewehr, eine Fox-Doppellaufflinte mit handpoliertem Ölschaft aus türkischem Walnussholz, schlankem Pistolengriff, Biberschwanz-Vorderschaft und einer Abschlusskappe aus Hartgummi. Er prüfte das System mit automatischem Ejektor. Der Preis eines solchen Gewehrs bewegte sich, wie Hayes wusste, zwischen siebentausend Dollar für das Basismodell und bis zu fünfundzwanzigtausend für eine Sonderanfertigung. Eine wahrhaft eindrucksvolle Waffe.
»Sie sind dran«, sagte Lenin.
Hayes legte an und zielte in den wolkenverhangenen Nachmittagshimmel. Er stabilisierte den Lauf mit einer federleichten Berührung.
»Ab«, rief er.
Eine Tontaube schoss aus dem Wurfgerät. Er folgte dem schwarzen Punkt
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