Die Romanow-Prophezeiung
seinen glänzenden rechten Stiefel sinken. Hayes warf einen bewundernden Blick auf Baklanows wollenen Anzug – Savile Row, wenn er nicht irrte –, das Baumwollhemd von Charvet, die Krawatte von Canali und den Filzhut mit Gamsbart. Dieser Russe verstand es, sich in Szene zu setzen.
»Die Sowjets haben uns jahrzehntelang mit den vermeintlichen Lastern der Romanows in den Ohren gelegen. Alles erstunken und erlogen«, erklärte Baklanow. »Die Menschen wollen eine Monarchie mit allem Drum und Dran. Etwas, das in der ganzen Welt Aufsehen erregt. Und das ist nur mit großem Tamtam zu erreichen. Wir beginnen mit einer komplizierten und prunkvollen Krönungszeremonie, dann folgt eine Geste der Ergebenheit von Seiten des Volkes für seinen neuen Herrscher – sagen wir mal eine Million Menschen auf dem Roten Platz. Danach erwartet man, dass ich Paläste bewohne.«
»Und was ist mit Ihrem Hof?«, fragte Lenin. »Werden Sie St. Petersburg zu Ihrer Hauptstadt machen?«
»Selbstverständlich. Die Kommunisten haben sich für Moskau entschieden, und deshalb wird eine Rückkehr nach St. Petersburg gewissermaßen zu einem Symbol der Veränderung.«
»Und werden Sie auch wieder Großfürsten und -fürstinnen einsetzen?«, erkundigte sich Lenin mit unverhohlenem Abscheu.
»Ja, auch das. Die Erbfolge muss schließlich gewährleistet werden.«
»Aber Sie verachten doch Ihre Familie«, wandte Lenin ein.
»Meine Söhne werden ihr Geburtsrecht zugesprochen bekommen. Darüber hinaus werde ich eine neue herrschende Schicht schaffen. Welch bessere Möglichkeit gäbe es, die Patrioten zu belohnen, die all das erst möglich gemacht haben?«
Chruschtschow mischte sich ein. »Einige von uns wollen eine neue Schicht von Bojaren, die sich aus den Rängen der Neureichen und der Verbrecherbanden zusammensetzt. Die Bevölkerung erwartet vom Zaren aber, dass er der Mafija ein Ende setzt, statt sie zu belohnen.«
Hayes fragte sich, ob Chruschtschow wohl ebenso offen reden würde, wenn Stalin hier wäre. Stalin und Breschnew waren aus gutem Grund nicht zu diesem Treffen eingeladen worden. Die Aufteilung in zwei Gruppen war Hayes’ Idee gewesen – eine Variation des bekannten Szenarios mit dem guten und dem bösen Polizisten.
»Dem kann ich nur zustimmen«, erklärte Baklanow. »Eine langsame Entwicklung wird für alle Beteiligten von Vorteil sein. Ich bin vor allem daran interessiert, dass meine leiblichen Erben mir auf den Thron folgen und die Romanow-Dynastie fortdauert.«
Baklanows drei Kinder, allesamt Söhne, waren zwischen fünfundzwanzig und dreiunddreißig Jahre alt. Sie hassten ihren Vater, doch die Aussicht, dass der Älteste Zarewitsch und die beiden anderen Großherzöge werden könnten, hatte den Familienfrieden zumindest oberflächlich wiederhergestellt. Baklanows Frau war eine hoffnungslose Alkoholikerin, aber gebürtige Russin und orthodoxe Christin und konnte sogar auf eine Spur königlichen Blutes verweisen. Im letzten Monat hatte sie eine Entziehungskur in einer australischen Klinik gemacht und dabei ständig jedem erzählt, dass sie als die zukünftige Zarin von ganz Russland liebend gern auf Alkohol verzichten werde.
»Wir alle sind an der Fortführung der Dynastie interessiert«, erklärte Lenin. »Ihr Erstgeborener scheint ja ein vernünftiger Mensch zu sein. Er hat versprochen, Ihre Politik fortzusetzen.«
»Und wie soll meine Politik aussehen?«
Hayes hatte schon darauf gewartet, sich einmischen zu können. »Ganz einfach: Sie machen, was wir sagen.« Er hatte die Nase voll davon, diesem Schwachkopf um den Bart zu gehen.
Baklanow war anzumerken, wie wütend ihn diese brutale Offenheit machte. Sehr gut, dachte Hayes. Soll er sich ruhig schon mal daran gewöhnen.
»Ich wusste gar nicht, dass ein Amerikaner bei der Angelegenheit auch eine Rolle spielen würde.«
Hayes fixierte ihn mit einem vielsagenden Blick. »Dieser Amerikaner finanziert Ihren Lebensstil.«
Baklanow sah Lenin an. »Stimmt das?«
»Wir haben nicht die Absicht, Ihnen unsere Rubel in den Rachen zu werfen. Die Leute aus dem Ausland machten uns ein Angebot, und wir nahmen es an. Sie haben in den nächsten Jahren viel zu verlieren oder zu gewinnen, je nachdem.«
»Wir sorgen dafür, dass Sie zum nächsten Zaren gewählt werden«, fuhr Hayes fort. »Außerdem werden Sie absolute Machtbefugnisse bekommen. Es wird zwar eine Duma geben, aber die wird so impotent sein wie ein kastrierter Bulle. Sämtliche Gesetzesvorlagen müssen erst von Ihnen und
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