Die Romanow-Prophezeiung
Unwilligkeit im Unterricht und seiner Vorliebe für russische Bauernkleidung. Er war verzogen und launisch. Einmal hatte er einer Truppe von Palastwächtern befohlen, ins Meer zu marschieren, und sein Vater hatte oft darüber gewitzelt, ob Russland wohl Alexej den Schrecklichen überstehen werde.
Doch nun war er der Zar. Alexej II. Der gottgewollte Nachfolger auf dem Zarenthron, den zu beschützen Maks geschworen hatte.
Neben Alexej stand seine Schwester, die ihrem Bruder in vieler Hinsicht ähnelte. Ihre Dickköpfigkeit war sprichwörtlich, ihre Arroganz oft unerträglich, jetzt war ihre Stirn voll Blut und ihre Kleider hingen in Fetzen. Unter den zerrissenen Lumpen erhaschte er einen Blick auf ihr Korsett. Beide Kinder waren blutüberströmt, hatten verdreckte Gesichter und stanken nach Tod.
Doch sie lebten.
Lord konnte kaum glauben, was er da hörte, aber der Alte sprach mit einer Überzeugung, die keine Zweifel zuließ. Durch die Tapferkeit eines einzigen Mannes hatten zwei Romanows das blutige Massaker in Jekaterinburg überlebt. Immer wieder hatten Leute dies behauptet, doch es war stets als reine Spekulation abgetan worden.
Hier aber war nun die Wahrheit.
»Bei Einbruch der Nacht schaffte mein Vater die Kinder von Jekaterinburg fort. Helfer standen an der Grenze der Stadt bereit, und gemeinsam brachten sie die Kinder nach Osten. So weit wie möglich von Moskau weg.«
»Warum suchten sie nicht Schutz bei der Weißen Armee?«, fragte Lord.
»Wozu? Die Weißen waren keine Zaristen. Sie hassten die Romanows nicht weniger als die Roten. Nikolaus hielt sie irrtümlich für rettende Kräfte, aber sie hätten die Familie vermutlich ebenfalls umgebracht. Im Jahr 1918 hatte mit Ausnahme einer sehr kleinen Minderheit niemand etwas für die Romanows übrig.«
»Die Menschen, für die Ihr Vater arbeitete?«
Maks nickte.
»Wer waren sie?«
»Ich weiß es nicht. Diese Information hat man nicht an mich weitergegeben.«
»Wie ging es mit den Kindern weiter?«, fragte Akilina.
»Mein Vater schaffte sie aus dem Gebiet, in dem noch zwei Jahre lang der Bürgerkrieg tobte. Nach Osten, über den Ural hinaus und tief nach Sibirien hinein. Es war nicht schwierig, ihre Identität zu verheimlichen. Schließlich wussten nur die Höflinge in St. Petersburg, wie die Kinder aussahen, und die waren zum größten Teil tot. Alte Kleider und dreckige Gesichter waren die beste Verkleidung für die Kinder.« Maks hielt inne und trank einen Schluck Tee. »Sie lebten in Sibirien bei Menschen, die eingeweiht waren, und schafften es schließlich nach Wladiwostok am Pazifik. Von dort wurden sie heimlich außer Landes gebracht. Wohin? Ich weiß es nicht. Das ist ein Abschnitt der vor Ihnen liegenden Reise, in den ich nicht eingeweiht bin.«
»In welcher Verfassung waren die beiden, als Ihr Vater sie fand?«, fragte Lord.
»Alexej war von keiner Kugel getroffen worden. Der Körper des Zaren hatte ihn abgeschirmt. Anastasia hatte Wunden, die aber heilten. Auch die beiden Kinder trugen Korsetts mit eingenähten Edelsteinen. Wie gesagt, damit hatte die Familie sich ja vor Raub schützen wollen. Den Schmuck wollten sie später zu Geld machen. Diese Vorsichtsmaßnahme rettete den Kindern das Leben.«
»Das, und die Tat Ihres Vaters.«
Maks nickte. »Er war ein guter Mann.«
»Wie ist es ihm anschließend ergangen?«, erkundigte sich Akilina.
»Er kehrte hierher zurück und hatte noch ein langes Leben. Von den Säuberungen blieb er verschont. Vor dreißig Jahren ist er gestorben.«
Lord dachte an Jakow Jurowski. Der Leiter des Exekutionskommandos hatte ein weit weniger friedvolles Ende gefunden. Jurowski war zwanzig Jahre nach Jekaterinburg gestorben, ebenfalls im Monat Juli, und zwar an einem aufgeplatzten Magengeschwür. Doch zuvor hatte Stalin Jurowskis Tochter zum Arbeitslager verurteilt. Der alte Parteikämpe hatte vergebens versucht, ihr zu helfen. Es kümmerte niemanden, dass er der Mann war, der den Zaren getötet hatte. Auf seinem Totenbett klagte Jurowski das Schicksal an. Lord war klar, wie so etwas hatte geschehen können. Wieder die Bibel. Mein ist die Rache, ich will vergelten, spricht der Herr.
»Und was machen wir jetzt?«, fragte er.
Maks zuckte die Schultern. »Das wird uns mein Vater sagen müssen.«
»Wie sollte das möglich sein?«
»Die entscheidende Information liegt in einem Metallkästchen versiegelt. Es war mir nicht gestattet, den Inhalt des Kästchens in Augenschein zu nehmen oder zu lesen. Ich hatte
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