Die Romantherapie: 253 Bücher für ein besseres Leben (German Edition)
wenig will man seine Tage damit verbringen, Konten zu checken oder die Vorteile von Index-Fonds zu diskutieren. Materialismus oder das Jenny-Treibel-Syndrom verläuft schleichend. Es fängt mit ein paar Fonds an und ehe man es sich versieht, fiebert man nicht mehr der nächsten Staffel Breaking Bad entgegen, sondern der Schlussglocke der Wall Street. Und dann dauert es nicht mehr lange und man studiert die Forbes-Liste der reichsten Männer und überlegt, mit wem man seinen Nachwuchs verheiraten könnte …
Aber das wird Ihnen nicht passieren. Theodor Fontante und seine abschreckende Frau Treibel werden Sie heilen. Denn eins ist völlig unstrittig: Niemand, wirklich niemand möchte eine solche Zielscheibe abgeben. Möchte mit derart beißendem Spott, derart ätzender Häme porträtiert werden und noch zweihundert Jahre später als Inbegriff des bornierten, visionslosen Spießers gelten. Übrigens ist Materialismus von gestern. Weniger ist mehr.
Menschenscheu
Unter dem Tagmond
Keri Hulme
Sie bleiben also lieber zu Hause und lesen ein Buch? Nun, das ist natürlich völlig in Ordnung. Aber Sie müssen versprechen, auch wirklich zu lesen und nicht dazusitzen und sich selbst zu bemitleiden, weil niemand kommt, um Sie abzuholen , und weil alle sich amüsieren, nur Sie nicht. 234
Bleiben Sie zu Hause und ziehen Sie Unter dem Tagmond aus dem Regal. Machen Sie die Bekanntschaft der unentschuldbar antisozialen Kerewin Holme, die allein in einem spärlich möblierten sechsstöckigen Turm mit einem Kruzifix im Eingangsflur lebt. Kratzbürstig, ungeduldig, schroff, mit ihrer Familie zerstritten und etwas sonderbar, wie Menschen manchmal sind, wenn sie zu viel Zeit allein verbringen (sie redet unaufhörlich mit sich selbst), ist Kerewin sicherlich nicht jedermanns Fall.
Ebenso wenig wie Simon den generellen Vorstellungen eines netten kleinen Jungen entspricht. Der seltsame Bengel, der in Kerewins Turm einbricht, ist stumm, störrisch, missmutig, »widerlich gnomenhaft« und ein »Klugscheißer«, so lautete Kerewins Urteil, als sie ihn zum ersten Mal sieht, steif und gerade in eine schmale Fensternische gequetscht. »Emotional gestört«, wie der lokale Telefonist es nennt. »Ein störrisches, boshaftes, völlig verdrehtes Kind.«
Auftritt Joe Gillayley, Simons Vater, im Grunde ein netter Kerl, aber ein Alkoholiker, der dazu neigt, im Suff gewalttätig zu werden und den Jungen zu schlagen – und sich dann mit Schuldgefühlen zu quälen. Kein wirklich attraktives Dreigestirn. Doch Kerewin ist aufgrund ihrer eigenen Andersartigkeit bereit, Simon und Joe zu akzeptieren. Allmählich beginnen die drei sich zusammenzuraufen und eine seltsame kleine Familie zu bilden, in der sie die Wärme, Kameradschaft und Ungezwungenheit erleben können, die ihre antisozialen Tendenzen ihnen zuvor verwehrt haben.
Lassen Sie die Freundschaft der drei auf sich abfärben. Die Tatsache, dass Sie im Grunde Ihres Wesens menschenscheu sind, muss Sie nicht zwangsläufig davon abhalten, starke und wundervolle Bindungen zu anderen Menschen einzugehen. Wenn nächstes Mal jemand in Ihrem Umfeld eine Party schmeißt, gehen Sie hin. Vielleicht treffen Sie ja jemanden, der genauso menschenscheu ist wie Sie.
▶ Dinnerpartys, Angst vor
▶ Hang, mehr zu lesen als zu leben
▶ Menschenhass 235
Minderwertigkeitskomplex
Winnetou I - III
Karl May
Es ist zwar schon eine Weile her, dass Sie beim Volleyball als Vorletzte gewählt wurden und die Einladung zur Party des Monats einfach nicht kommen wollte, aber die Stimme, die Ihnen zuflüstert, dass Sie ein nichts könnendes, ungeliebtes Nichts sind, erhebt sich immer noch ab und an in Ihrem Kopf. Klar, inzwischen haben Sie ein Haus, ein Boot und ein Pferd sowie jede Menge Strategien, die Stimme zum Schweigen zu bringen, aber manchmal, besonders nachts, flüstert sie beharrlich weiter: von verpatzten Projekten, kleinen und großen Fehlern, verlorenen Freunden … In diesen Nächten hilft Karl May. Und zwar nicht die Verfilmung mit Pierre Brice, die ist gut gegen verregnete Sonntagnachmittage, nein, hier brauchen wir das Buch.
Am besten legen Sie Winnetou I auf Ihren Nachttisch. Sie kleben ein Post-it an die Stelle, in der Old Shatterhand den Grizzly mit dem Messer besiegt, ein weiteres an die Stelle, in der er sich vom Marterpfahl der erzürnten Mescalero-Apachen befreit, und ein weiteres an die, in der er Winnetous Blutsbruder wird. Sie lesen und schwelgen in der schönsten Omnipotenzfantasie, seit Kolumbus
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