Die Romantherapie: 253 Bücher für ein besseres Leben (German Edition)
Literaturgeschichte. Menschen mit einem Mangel an Selbstbewusstsein sollten diesen Roman nicht nur als per se literarisch heilsame Erfahrung lesen, sondern als einen ganz konkreten Ratgeber. Machen Sie's so wie Quoyle, Schritt für Schritt. Sollten Sie für ein Leben auf Neufundland nicht über den entsprechenden Pass oder das dafür notwendige Visum verfügen, ersetzen Sie Neufundland einfach durch einen anderen unwirtlichen, schwer zugänglichen Ort, beispielsweise durch Island, die Äußeren Hebriden oder Nordsibirien. Legen Sie sich eine großzügige Lebensversicherung zu, arrangieren Sie den Tod Ihres Sie strapazierenden Partners/Ihrer Partnerin bei einem Autounfall und …
War nur ein Witz. Aber wir legen Ihnen wirklich nahe, für eine Zeit an dem Ort zu leben, aus dem Ihre Familie stammt, egal, wie sehr sie ihn – oder die Familie – hassen. Betreiben Sie während Ihres Aufenthalts Ahnenforschung. Vielleicht bringen Sie, wie Quoyle, einige eher wenig schöne Tatsachen über Ihre üblen Vorfahren in Erfahrung – Verbrechen und Wunden, die von einer Generation an die nächste weitergegeben wurden und vor allem anderen für Ihr mieses Selbstbewusstsein verantwortlich sind. Mit etwas Glück schaffen Sie es ebenfalls, wie Quoyle, den ererbten Kreislauf zu durchbrechen und neu anzufangen.
Wenn Sie sich ständig selbst kritisieren und derart Ihren Glauben an sich und Ihre Ansichten unterwandern, werden Sie in der Erzählerin von Daphne du Mauriers Rebecca eine verwandte Seele entdecken – die übrigens namenlos bleibt 330 und so ihre fehlende Überzeugung in ihr Existenzrecht unterstreicht. Ab dem Moment, in dem sie ihre Rolle als die zweite Mrs. de Winter, Herrin von Manderley, annimmt – einem wunderschönen Landsitz, der ihrem älteren, deutlich mondäneren Ehemann Maxim gehört –, wird sie extrem linkisch, lässt andauernd ihre Handschuhe fallen, wirft Gläser um, tritt auf Hunde, errötet und entschuldigt sich, während sie auf Zehenspitzen herumschleicht, auf den Nägeln kaut und sich fragt, ob die Bediensteten über sie lachen. Unangemessen gekleidet und frisiert – was sie weiß –, hat sie nicht die geringste Idee, wie man einen Landsitz führt oder wie man sich das beibringen könnte, und überträgt ihre Autorität naiv an die Haushälterin Mrs. Danvers – ein boshaftes Schreckgespenst von einer Frau, die die erste Mrs. de Winter angebetet hat und die Selbstsabotage der jungen Frau nur allzu gern befördert. Direkt oder indirekt bezeichnet die Protagonistin sich als »zweite Wahl«, als »sonderlich« und »unzulänglich«. Als Mrs. Danvers ihr durch die Blume nahelegt, aus dem Schlafzimmerfenster zu springen, willigt sie, wenig überraschend, fast ein.
Die Heldin aus Rebecca ist eine Waise – wir könnten also auch hier wieder ihre toten Verwandten für ihr mangelndes Selbstbewusstsein verantwortlich machen. Aber ihr dabei zuzusehen, wie sie sich selbst niedermacht und sich ständig zu ihren Ungunsten vergleicht mit der eleganten, klugen und schönen Rebecca, ist nach einer Weile nur noch schwer zu ertragen. Alle, die ebenfalls dazu neigen, sich mit ihrem Selbstkritisch-Sein im Weg herumzustehen, werden beim Lesen dieses Romans in schuldhaftem Wiedererkennen erröten und sich schwören, derart autodestruktives Verhalten ein für alle Mal sein zu lassen.
▶ Bedürftigkeit
▶ Versager; sich wie einer fühlen 331
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Mittwoch, 2. Januar
7.17 Uhr, New Haven, unser Haus. Wache vor dem Kind auf. Ein Wunder. Liege eine halbe Stunde neben dem schnarchenden Ehemann und denke: Vor dem Kind aufstehen. Los jetzt. An seinem Zimmer vorbei, ohne es aufzuwecken. Frage mich, wann ich angefangen habe, das Kind als Eindringling und potenziell gefährliche Spezies zu betrachten. Nach unten schleichen, Kaffee aufsetzen.
7.29 Uhr. Von einem Schrei aus dem Elternschlafzimmer unterbrochen worden, der einem das Blut in den Adern gerinnen lässt. Hochgehetzt und das Kind senkrecht stehend vorgefunden,
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