Die Rose der Highlands
Schlossähnliches verleihen sollten.
»Sobald wir wissen, dass sie in dieser Fälschung von Scatwell Castle
eingezogen ist, werden wir dem jungen Glück einen Besuch abstatten«, hatte
Sibeal kämpferisch angekündigt.
Wenn es nur schon so weit wäre, dachte Lili betrübt, während sie
unter der Bettdecke hervorkroch, sich aufsetzte und in ihre Hausschuhe
schlüpfte. Sie griff sich den Morgenmantel, der im Tartan der Munroys gemustert
war und der Dusten gehört hatte. Es war merkwürdig, aber darin fühlte sie sich
geborgen, auch wenn er ihr viel zu lang und zu weit war und sie die Ãrmel
dreimal umkrempeln musste.
Nachdem sie die schweren Vorhänge beiseitegezogen hatte, musste sie
feststellen, dass sich am Wetter immer noch nichts geändert hatte. Nein, so
einen Dauerregen hatte sie wirklich noch nicht erlebt wie in diesem Januar 1932.
Hastig zog sie die Vorhänge wieder zu und setzte sich an ihren Schreibtisch.
Liebevoll strich sie über den Einband ihres alten Tagebuchs und öffnete es auf
der letzten Seite. Wie Niall dieses Tagebuch gehasst hatte, nur, weil Caitlin
ihre schrecklichen Erlebnisse auch einst einem Tagebuch anvertraut hatte. Lilis
letzter Eintrag war vom vierten August 1914, dem
schicksalhaften Tag, an dem der erste Weltkrieg ausgebrochen war. Damals war
sie auf dieser Kur in Strathpeffer gewesen und hatte ihrem Tagebuch gestanden,
dass sie so glücklich sei, weil sie gerade von ihrer Schwangerschaft erfahren
habe . Ich hoffe, dass es unserer Ehe endlich das
ersehnte Glück bringen wird, lautete der letzte Satz.
Rasch klappte sie das Tagebuch zu. Die Erinnerung tat weh. Und nun
waren sie beide tot â Niall und Dusten. Doch Dusten hatte den schrecklichen
Krieg wenigstens halbwegs unversehrt überlebt, wenn man von seiner Beinverletzung
absah.
Entschieden legte Lili das Tagebuch zur Seite. Sie hatte sich nicht
an den Schreibtisch gesetzt, um sentimentalen Erinnerungen nachzuhängen. Im
Gegenteil, nun galt es, die Zukunft zu gestalten, und dazu gehörte eine
Aufstellung, in der sie schriftlich festhalten wollte, wie sie die finanzielle
Lücke zu schlieÃen gedachte.
Nachdem sie ihre Liste erstellt hatte, las sie diese noch mal laut
vor: »Little Scatwell verkaufen, Geld für Roses Schule und Studium zurücklegen,
Das Angebot des Rinderbarons annehmen, ihm meine Tiere zu verkaufen. (Nachteil:
geringer Preis pro Stück. Vorteil: er nimmt alle, ich habe einen Batzen Bargeld
auf einmal, ergo: ich habe keine Wahl.) Unter dem Strich ein Geschäft, das mich
rettet, muss den Preis noch hochtreiben, davon eine Summe für die Armenküche
nehmen. Gehälter Fiona und Bonnie; Mister Brodie bezahlen, wenn er Little
Scatwell verkauft hat; Kosten für den Detektiv begleichen. Riley behalten, die
Uhr auch, eiserne Reserven.«
Befriedigt legte sie ihre Notizen beiseite. Es half alles nichts.
Sie konnte es drehen und wenden, wie sie wollte. Sie war allein auf Scatwell
Castle zurückgeblieben. Und sie war gezwungen, das Beste daraus zu machen.
Sie gähnte. Ob sie wohl doch noch schlafen konnte, ohne dass die
Albträume sich auf sie stürzen würden wie die Geier auf ein Stück Aas?
Unsicher kehrte Lili zu ihrem Bett zurück und legte sich im Bademantel
auf die Bettdecke. Sie glaubte nicht daran, dass sie wirklich einschlafen
würde, doch bevor sie den Gedanken zu Ende führen konnte, hatte die Müdigkeit
sie übermannt.
Sie erwachte nicht von einem Albtraum, sondern von aufgeregtem
Geschrei, das durch das ganze Haus drang. Sie blickte auf ihre Uhr und
erschrak. Es war bereits weit nach neun Uhr. So lange hatte sie seit Jahren
nicht mehr geschlafen. Hektisch sprang sie aus dem Bett und rannte mit wehendem
Morgenmantel die Treppen hinunter, denn der Lärm kam aus der Diele. Auf dem
unteren Treppenabsatz blieb sie abrupt stehen und warf einen verwunderten Blick
auf ihre Gäste. Es waren einige ihrer Nachbarn in schwerer Regenkleidung, die
sich dort in der Diele versammelt hatten und aufgeregt durcheinanderredeten.
»Darf ich erfahren, was Sie herführt, meine Herren?«, fragte Lili
laut und vernehmlich. Aller Augen waren nun auf die Hausherrin in ihrem
karierten Morgenmantel gerichtet.
Nach einer Sekunde der Stille brach erneut ein verbales Inferno aus,
bis einer der Nachbarn, der alte John Abercombie aus Scardoy, brüllte: »Ruhe!
Wie soll die Lady auch nur ein Wort verstehen?«
Augenblicklich
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