Die Rose der Highlands
wie Liam den Körper
des alten Mannes ächzend und stöhnend von dem Brückenpfeiler löste und an Land
zog. Erschöpft sank er neben dem Leichnam zu Boden. Lili rannte zu ihm. Baird
war kaum mehr wiederzuerkennen. Sein Kopf hatteÂ
offenbar länger unter Wasser gelegen.
»Wir schicken nachher ein paar Männer mit der Bahre«, schlug Lili
vor. »Und dann bringen wir ihn zu Akira.« Sie faltete die Hände und sprach
stumm ein Gebet für den alten Mann.
Auf dem Weg nach Little Scatwell sprach keiner von ihnen ein Wort.
Lili blickte immer wieder nach rechts, wo einmal die Weide für die Rinder
gewesen war und auf der jetzt ein riesiger Teich entstanden war. Ein paar Tiere
hingen verendet in den Zäunen.
»Bitte, tun Sie sich das nicht an. Sehen Sie einfach geradeaus«,
hörte sie wie von ferne Liam bitten, während er ihre Hand nahm. Sie wehrte sich
nicht.
Ihre Hände fest ineinander verschlungen, erreichten sie Little
Scatwell . Lilis Herz tat einen Sprung, als sie durch
das Tor auf das bescheidene Anwesen traten. Es war das Haus ihres Herzens und
würde es immer bleiben.
Scheu löste sie ihre Hand aus Liams und eilte voraus zur Haustür.
Sie hoffte, dass sie unverschlossen war, denn sie hatte keinen Schlüssel dabei.
Erleichtert stellte sie fest, dass die Tür offen war, doch kaum war sie in der
Diele, da wollte sie ihren Augen nicht trauen. Ãberall standen Töpfe und Eimer,
die voller Wasser waren. Einige waren übergelaufen mit dem Ergebnis, dass der
Dielenboden schwamm.
»Was ist das?«, fragte sie entsetzt.
Liam warf einen prüfenden Blick nach oben ins Treppenhaus.
»Es scheint so, als wäre das Dach undicht«, bemerkte er zögernd.
Daraufhin rannte Lili die Treppe nach oben. Dort bot sich ihr dasselbe Bild.
Ãberall standen GefäÃe herum, die dazu dienten, das Wasser aufzufangen. Die
meisten waren übergelaufen und der Boden war klitschnass.
»Warum hat mir keiner gesagt, dass es durch das Dach leckt?«,
murmelte Lili.
»Ich vermute, dass der alte Baird vorhatte, es nach dem groÃen Regen
zu flicken, um Sie nicht noch mehr zu belasten.«
»Und nun?«, stöhnte Lili.
»Ich werde einen Handwerker besorgen, der das repariert, bevor ich
es zum Verkauf anbiete«, entgegnete Liam.
Lili aber hörte ihm gar nicht mehr zu. Sie hatte eine der Türen
geöffnet. Die von GroÃmutter Mhairies altem Zimmer. Dort war noch alles an
seinem Platz, so als wäre die Zeit stehengeblieben. Lili strich mit zärtlicher
Geste über die hellen Möbel und meinte plötzlich die Stimme der alten Dame zu
hören: »Wo warst du so lange, Lili? Ich habe dich vermisst. Das Haus war so
leer ohne dich.«
Lili atmete ein paarmal tief durch. So plötzlich, wie ihr die
geliebte Stimme diese Worte zugeflüstert hatte, war sie wieder verschwunden.
Und doch konnte Lili sich dieser Botschaft aus einer anderen Welt,
die auf eindringliche Weise ihrer Phantasie entsprungen war, nicht
verschlieÃen. Plötzlich wusste sie, was sie zu tun hatte. Es gab einen Weg,
ihre finanziellen Probleme zu lösen, ohne sich von Little Scatwell trennen zu
müssen. Bei diesem verwegenen Gedanken pochte ihr Herz bis zum Hals.
»Liam«, raunte sie mit bebender Stimme. »Ich weià jetzt, was ich zu
tun habe. Aber halten Sie mich nicht für verrückt.«
»Lili, wie könnte ich? Sie sind die bodenständigste Person, die mir
je begegnet ist.«
»Gut, dann verkaufen Sie Scatwell Castle.«
»Wie bitte?«
»Ich wusste doch, dass Sie an meinem Verstand zweifeln.«
»Nein, nein, aber ich frage mich nur gerade, ob Sie über den alten
Kasten verfügen dürfen? Was ist mit Ihren Töchtern?«
Lili schmunzelte. »Ich darf! Der Erbe von Scatwell Castle war
Dusten, und er hat mich zu seiner Erbin eingesetzt. Das Testament haben wir bei
Ihnen gemacht. Haben Sie vergessen, wie Sie uns dazu geraten haben?«
»Ich bin ein lausiger Anwalt. Dass ich meine eigenen Schachzüge
vergesse ⦠Das geht mir aber nur bei besonderen Mandantinnen so!«
»Wie bitte? Bringen etwa noch andere Damen Sie durcheinander?«,
scherzte Lili. Sie spürte die Erleichterung in jeder Pore. Warum war sie darauf
nicht schon früher gekommen? Sie hätte überhaupt nicht nach Scatwell Castle
zurückziehen sollen!
»Das werde ich Ihnen nicht verraten. Sonst werden Sie noch
übermütig.
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