Die Rose der Highlands
ins Gesicht schoss.
»Das sagt ja gerade die Richtige. Du hast doch wohl zeitlebens davon
profitiert, dass ich die Wünsche meiner Kinder immer gern erfüllt habe!«
»Deiner Kinder vielleicht, aber ich bin nicht deine Tochter. Schon
vergessen?«, schnaubte Isobel.
»Du bist so ungerecht!«, gab Lili zornig zurück.
»Und du selbstgerecht. Glaubst du, du kannst verbergen, dass du ihr,
deiner eigenen Tochter, näher stehst als mir? Blut ist dicker als Wasser«,
zischte Isobel in gehässigem Ton.
Lili merkte es erst, als es zu spät war. Sie hatte nicht nur daran
gedacht, dass sie Isobel am liebsten auf der Stelle zum Schweigen bringen
würde, sondern auch gehandelt. Sie hatte ihrer erwachsenen Stieftochter eine Ohrfeige
gegeben.
Isobel starrte sie ungläubig an.
Lili blickte fassungslos von ihrer Hand zu Isobels Wange und zurück.
Als könne sie immer noch nicht glauben, dass es wirklich passiert war.
»Das tut mir so leid. Ich weià auch nicht, wie das geschehen konnte.
Es ist nicht richtig, auch, wenn das so ungerecht und gemein war, was du gesagt
hast. Ich liebe dich wie eine eigene Tochter. AuÃerdem bist du die Tochter
meiner Cousine, obwohl ich das nicht geahnt habe, als ich euch in die Highlands
gefolgt bin und dir eine gute Mutter sein wollte. Trotzdem darf ich dich nicht
schlagen. Bitte verzeih mir!«
Isobel aber ging, ohne Lili noch eines Blickes zu würdigen, zur Tür
und lieà sie ebenso geräuschvoll zufallen wie Rose zuvor.
Als Bonnie wenig später mit dem Dessert kam, blieb sie erschrocken
in der Tür stehen. Lili saà weinend vor dem Kaminfeuer. Sie war
mutterseelenallein im Salon.
Sicher vermisst sie Mister Dusten ganz schrecklich, dachte das
Hausmädchen und zog sich diskret zurück. Ihr Herz zog sich zusammen, als ein
verzweifelter Schluchzer von Misses Munroy bis hinaus auf den Flur drang.
15
L ili wusste nicht,
wie lange sie schon in sich zusammengesun ken und verzweifelt vor dem Kamin
gesessen hatte. Das Holz war heruntergebrannt, und in ihrem Kopf pochte es
schmerzhaft. Wahrscheinlich war es bereits Abend. Immer wieder war Lili in Gedanken
das Geschehene durchgegangen. Wie hatte alles bloà derart eskalieren können? Am
meisten quälte sie die Frage, wie sie sich zu dieser Ohrfeige hatte hinreiÃen
lassen können. Zwischendurch hatte sie sich immer wieder etwas Whisky eingeschenkt.
Sie fühlte sich ein wenig betrunken, aber das brachte keine Linderung ihres
Schmerzes, sondern zog sie nur noch tiefer in einen Strudel der Verzweiflung.
Sie warf einen wehmütigen Blick zum Tannenbaum und den Geschenken.
Sofort kamen ihr erneut die Tränen. Wenn sie im letzten Jahr auch nur annähernd
geahnt hätte, wie einsam es dieses Mal werden würde. Damals hatten sie alle
drei vereint um Dusten getrauert, sich in den Armen gelegen, geschluchzt und
geschrien. Es war während der gesamten Festtage nicht ein böses Wort zwischen
ihnen gefallen. Nun waren sich die Mädchen spinnefeind, und sie hatte Isobel
geschlagen.
Lili beschloss, Scatwell Castle für einen Augenblick den Rücken zu
kehren und einen Spaziergang zu unternehmen. Sie musste sich den Wind um die
Nase wehen lassen, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen.
Auf dem Weg zur Garderobe machte sie einen Abstecher zur Küche.
Bonnie und Fiona saÃen tuschelnd am Küchentisch. Als Lili sich räusperte,
blickten sie gleichermaÃen schuldbewusst zur Tür, als hätte man sie beim
Tratschen über die Hausherrin ertappt.
»Ihr könnt Feierabend machen. Und esst vom Dessert so viel, wie ihr
könnt. Wir waren satt. Und ich mach noch ein paar Schritte vor die Tür«,
erklärte Lili und versuchte, normal zu klingen.
Auf dem Flur sah sie flüchtig in den Garderobenspiegel. Ihre Augen
waren vom vielen Weinen geschwollen. Sie stieà einen tiefen Seufzer aus und zog
ihren Mantel an. Als sie ausgehfertig war, zögerte sie. Ob sie lieber nach
ihren Mädchen sehen sollte?
Nein, mir ist nach einem kleinen Ausflug, entschied sie und verlieÃ
das Haus. Die beiden Hündinnen begleiteten sie. Für sie ist dieser abendliche
Spaziergang ein wahres Weihnachtsgeschenk, dachte Lili.
DrauÃen pfiff ihr ein eisiger Wind entgegen, der ihr fast die Luft
zum Atmen nahm. Es war frostig, doch noch immer war kein Schnee im Tal von
Strathconon gefallen.
Schnellen Schrittes und ohne lange zu überlegen, durchquerte Lili
den Park
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