Die Rose der Highlands
überhaupt zutrifft?«
Verärgert gab er sie frei und stand auf. Sie blieb liegen und fixierte ihn nachdenklich.
»Was meinst du damit?«, fragte sie schließlich.
Er streckte ihr die Hand hin, um ihr hochzuhelfen. Sie verweigerte sie, rappelte sich aus eigener Kraft auf und trat demonstrativ einige Schritte zurück.
»Cumberland wollte Ergebnisse sehen«, sagte er mit gepresster Stimme. Die Blutgier seines Vorgesetzten verursachte ihm noch heute Übelkeit. »Er wollte die Namen der Männer haben, die am Galgen starben oder in Gefangenschaft, den Beweis, dass die Highlander wirklich und wahrhaftig vernichtet wurden. Also gab ich ihm, was er wollte.«
Sie starrte ihn schweigend an.
»Der Galgen war in einem eigens dafür abgetrennten Teil der Gefängnisanlage errichtet worden, und so gab es keine Zeugen für das, was ich tat. Wochenlang brachte täglich ein Karren jede Stunde die Leiche eines Gefangenen zum Friedhof, vorbei an Cumberlands Hauptquartier im Bürgermeisteramt. Und jeden Tag notierte Cumberland sich die Zahl der Schotten, die vor ihren Schöpfer getreten waren.«
»Dann passt der Name Schlächter ja ausgezeichnet zu dir«, sagte Leitis mit schmalen Lippen.
Verstimmt über ihre Halsstarrigkeit runzelte er die Stirn. »Gottlob bemerkte der Herzog nie, dass der Karren nur bis zum Ende der Straße fuhr, dort umkehrte und wieder an ihm vorbeifuhr. Und die angeblichen Gefangenen, die ich angeblich exekutierte, waren englische Soldaten, die entweder an Influenza gestorben oder ihren Verwundungen erlegen waren.«
Sie schwieg noch immer, doch das Entsetzen war aus ihren Augen gewichen.
»Im Lauf der Wochen erwarb ich mir einen Ruf wie Donnerhall. Ich wurde zu Cumberlands tüchtigstem Henker. Tagein, tagaus sah er die Zeugnisse meines Tuns. Aber für jeden Toten, den er sah, bekam ein Lebender die Gelegenheit, heimlich in seine Heimat zurückzukehren.«
Er schaute über die Landbrücke, das Tal, die Hügel hinaus, und plötzlich überwältigte ihn die Erkenntnis, dass er diesen Ort liebte. Die Erinnerungen, die damit verknüpft waren, die Berge, das Zwielicht, das sich wie eine weiche, blaugraue Decke über Gilmuir breitete.
»Warum?«, fragte sie in seine Betrachtungen hinein. »Warum hast du sie entkommen lassen? Warum kümmerten sie dich überhaupt? Sie waren Schotten – du hättest sie doch mit Freuden töten müssen.«
»Wenn ein Mann im Grab liegt, ist seine Nationalität nicht mehr von Bedeutung.« Er drehte sich zu ihr. »Und ich habe festgestellt, dass für Gefangene das Gleiche gilt.« Er trat auf sie zu und berührte zart ihre Wange. Zu seiner Überraschung zuckte sie nicht zurück.
»Es war Krieg, Leitis«, sagte er ernst, »und im Krieg sterben Männer nun einmal. Aber sie sollten nicht sterben müssen, um jemandes Blutgier zu stillen.«
»Warum hast du mir nicht schon längst die Wahrheit gesagt?«
»Hättest du mir denn geglaubt?«
»Nein«, antwortete sie, und er hätte beinahe gelächelt über ihre widerstrebende Aufrichtigkeit.
»Glaubst du mir
jetzt?«
Sie schaute ihn sinnend an und schwieg. Und schwieg. Und schwieg. Wusste sie nicht, dass die Worte, die sie sagen würde, vielleicht die wichtigsten in seinem Leben wären? Sie würden darüber entscheiden, ob es eine gemeinsame Zukunft für sie gäbe oder nicht.
»Ja«, sagte sie nach einer Ewigkeit. »Weil du Ian bist.«
Weil er Ian war.
So einfach war das?
»Es kam dir gelegen, dass die Leute dich den Schlächter von Inverness nannten, habe ich recht?«
Er lächelte. »Was hätte Cumberland besser davon überzeugen können, dass ich seine Befehle ausführte?«
»Donald weiß Bescheid«, begriff sie plötzlich. »Und Harrison ebenfalls. Wie viele deiner Männer wissen sonst noch, was du getan hast?«
»Ich ziehe da keinen von ihnen mit hinein«, antwortete er. »Die Männer, die ich befehlige, sind loyale englische Soldaten.«
»Nein, das sind sie nicht«, widersprach Leitis. »Ihre Loyalität gilt
dir.«
»Es sind anständige Burschen«, sagte er, »und sie hassten, was sie sahen, ebenso wie ich es hasste.«
»Hast du deshalb die Rolle des Raben gespielt?«, fragte sie. »Weil du fürchtetest, dass ich dir nicht glauben würde?«
»Zum Teil«, gab er zu. »Aber außerdem wollte ich den Leuten von Gilmuir helfen. Nicht um deinetwillen und auch nicht um meinetwillen, sondern um ihretwillen, denn sie hatten ebenfalls unter Cumberlands Erlassen zu leiden.«
Ein Geräusch lenkte sie ab, und sie schauten beide in die
Weitere Kostenlose Bücher