Die Rose der Highlands
gedreht, nahm ihr Gesicht in die Hände und küsste sie auf den Mund.
Instinktiv hob sie die Hand und wollte ihn wegstoßen.
»Nicht«, flüsterte er heiser, und sie ließ ihn gewähren. Ihre Lider schlossen sich flatternd, und in den nächsten Momenten gab es nichts als die schnellen Schläge seines Herzens unter ihrer Hand und die ebenso schnellen ihres eigenen. Ein seltsames Schwindelgefühl ergriff von ihr Besitz. So, dachte sie, musste es sein, wenn ein starkes Heidekraut-Bier die Männer betrunken machte.
Schließlich war er es, der den Kuss beendete. Schwer atmend presste er seine Lippen auf ihre Schläfe. Sie hielt die Augen geschlossen, während sein Mund Küsse auf ihre Lider und ihre Nase streute. Die Zärtlichkeit dieser Geste steigerte ihre Verwirrung und Verzauberung so weit, dass ihr plötzlich zum Weinen zumute war.
Entschlossen trat sie einen Schritt zurück und legte die Finger an die Lippen.
»Schmecke ich englisch, Leitis?«, fragte er leise.
Sie schüttelte stumm den Kopf, als hätte er ihre Fähigkeit zu sprechen weggeküsst.
Er blieb stehen, wo er war, sah sie nur an mit seinen braunen Augen. Sein Blick glitt über ihr Haar und ihr Gesicht, als wolle er sich ihren Anblick unauslöschlich einprägen.
Und dann drehte er sich plötzlich um und ging.
Nein, dachte sie, während sie verdutzt auf die geschlossene Tür starrte, er schmeckte nicht
englisch
. Er schmeckte
vertraut. Bekannt.
Doch er hatte sie vorher nur einmal geküsst, in den Fängen seines Alptraums. Welches Geheimnis umgab den Colonel?
Er behandelte sie wie einen lieben Gast anstatt wie eine Geisel. Seine Männer waren ihm treu ergeben, obwohl er ein strenger Befehlshaber war.
Er wurde der Schlächter von Inverness genannt. Zum ersten Mal fragte sie sich, ob die Geschichten über ihn wirklich stimmten.
Einmal, in ihrer Kindheit, hatten sie und ihre Brüder mitten im Tal auf dem Rücken gelegen und zu den Schönwetterwolken am Himmel hinaufgeschaut.
»Das ist ein Vogel«, sagte Fergus und deutete auf eines der flaumig aussehenden Gebilde.
»Ist es nicht«, widersprach James. »Es ist ein Breitschwert.« Und er erläuterte die verschiedenen Teile.
Leitis verlor die Geduld. »Es ist keines von beiden«, mischte sie sich ein.
Die Jungen schauten sie überrascht an.
»Es ist nichts als eine Wolke.«
Fergus deutete auf eine andere. »Schau dir den linken Teil an«, forderte er sie auf. »Was siehst du da?«
»Nur da?«
Er nickte.
Sie kniff die Augen zusammen und … tatsächlich, da war etwas. »Eine Ente«, verkündete sie.
Fergus grinste sie an. »Manchmal erkennt man etwas besser, wenn man sich die einzelnen Teile anschaut statt das Ganze auf einmal.«
Vielleicht könnte sie ja auch den Colonel besser erkennen, wenn sie diese damals von ihrem Bruder empfohlene Betrachtungsweise auf ihn anwendete, dachte sie. Plötzlich riss sie eine rätselhafte Erkenntnis aus ihren Gedanken: Der Schlächter hatte überhaupt nicht gefragt, woher der Korb mit dem Garn gekommen war.
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18
E s gab, dachte Alec, nur einen Menschen, dem es vielleicht gelingen könnte, die Leute aus Gilmuir zu bewegen, ihr Dorf zu verlassen, und dieser Mensch war Leitis. Denn er war ziemlich sicher, dass sie nicht auf einen geheimnisvollen, maskierten Mann hören würden – und ganz bestimmt nicht auf den Schlächter von Inverness.
Als die Abenddämmerung herniedersank, stieg Alec auf sein Pferd und verließ das Fort.
»Lieutenant?«, fragte Harrison, der sich von hinten angeschlichen hatte. »Gibt es da etwas Besonderes zu sehen?«
Armstrong, der um die Hofecke herum die Landbrücke fixierte, erstarrte.
»Nein, Sir«, antwortete er im nächsten Moment scheinbar gelassen und drehte sich um.
»Habt Ihr den Colonel beobachtet, Armstrong?«
»Ich fragte mich nur, wo er jetzt hinreitet«, erwiderte der junge Mann. »Es ist doch schon beinahe finster.«
»Gehen Euch seine Unternehmungen etwas an, Lieutenant?« Harrisons Ton war scharf geworden.
»Nein, Sir.« Armstrong entfernte sich.
Harrison sah ihm besorgt nach. Sie müssten sich etwas überlegen – dieser Bursche könnte gefährlich werden.
Wo war der Rabe jetzt wohl? Er hatte sie letzte Nacht ohne ein Abschiedswort verlassen, ohne einen Hinweis darauf, ob – oder wann – sie ihn wiedersehen würde. Wie könnte sie ihn herbeiholen? Durch die Kraft ihrer Wünsche?
Leitis stand auf und schob die Bank ordentlich unter den Webstuhl, streckte sich, ließ die Schultern kreisen
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