Die Rose des Propheten 1 - Das Buch der Götter
inmitten seiner Schäfer saß.« Majiids dröhnendes Gelächter erschütterte die Stangen des gestreiften Zelts. »›Salam aleikum, ich grüße dich Jaafar!‹ hatte Khardan ihm zugerufen, als wir mit den an unseren Sätteln baumelnden Hrana-Schafen an ihm vorbeigaloppierten.« Erneut lachte der Scheich laut auf. »Mein Sohn Khardan, was für ein Prachtkerl!«
»Ich wünschte, das wäre nicht geschehen, Sidi«, brachte Sond mit leiser, gepreßter Stimme hervor.
»Pah! Sond, was ist heute morgen mit dir los? Hat dich letzte Nacht irgendeine kleine Dschinnia versetzt, na?« Majiid schlug dem Dschinn so kräftig auf die nackte Schulter, daß der Unsterbliche beinahe auf den mit Filz bedeckten Zeltboden fiel. »Nun komm schon. Freu dich mit uns. Zur Feier des Tages werden wir ein Baigha-Spiel veranstalten.«
Nachdem er sich abgewandt hatte, wollte der Scheich aus dem Zelteingang treten, als ihm Sond die Hand entschlossen auf den kräftigen Arm legte. Verblüfft blieb er stehen. »Bitte, Sidi, leih mir einen Augenblick dein Ohr und lausche meiner Botschaft«, bat der Dschinn.
»Aber schnell«, forderte Majiid gereizt und warf ihm einen wilden Blick zu. Wie der Scheich erkennen konnte, hatten sich seine Männer bereits mit ihren Pferden versammelt und warteten ungeduldig auf den Beginn des Spiels.
»Bitte, können nicht die Diener die Eingangsplane herunterschlagen, damit wir ungestört sind?«
»Na gut«, grummelte Majiid und bedeutete mit einem Wink, das Zelt zu schließen – das war für alle das Zeichen, den Scheich auf keinen Fall zu stören.
»Heraus damit! Bei Sul, Dschinn, du siehst aus, als hättest du eine schlechte Feige gegessen!« Majiid runzelte die Stirn, und sein grauer, dichter Schnurrbart sträubte sich. »Die Aran, diese kamelreitenden Warzenschweine, haben wieder den südlichen Brunnen benutzt, stimmt’s?« Majiid ballte seine Finger zu einer gewaltigen Faust. »Diesmal werde ich Zeid das Herz herausreißen…«
»Nein, Sidi!« unterbrach ihn Sond verzweifelt. »Es handelt sich nicht um deinen Vetter Scheich Zeid.« Er senkte die Stimme zu einem Flüstern. »Letzte Nacht wurde ich vor Hazrat Akhran gerufen. Der Gott hat mich mit einer Botschaft zu dir und deinem Volk gesandt.«
Scheich Majiid al Fakhars Brust schwoll buchstäblich vor Stolz an – der schon für sich genommen einen imponierenden Anblick bot. Und obwohl Sond, der Dschinn, ganze sieben Fuß groß war, reichte ihm Majiid bis zur Schulter. Der Scheich war ein riesiger Mann, und alles andere an ihm war ebenfalls groß und beeindruckend. So besaß er eine donnernde Stimme, die selbst das wildeste Schlachtgetümmel noch übertönte. Im Alter von fünfzig Jahren konnte er immer noch ein voll ausgewachsenes Schaf mit einem Arm hochstemmen, mehr Kumys vertragen als jeder andere Mann im Lager und allen, außer dem ältesten seiner vielen Söhne, davonreiten.
Khardan, sein ältester Sohn – der Kalif des Stamms –, war der Sonnenschein in den Augen seines Vaters. Er war fünfundzwanzig Jahre alt, und obgleich nicht so groß wie sein Vater, glich er ihm in beinahe jeder Hinsicht. Der Kalif sah so stattlich aus, daß die heiratsfähigen Töchter der Akar heimlich durch die Zelte spähten, wenn er vorbeiritt. Sein blauschwarzes Haar entlockte ihnen sehnsüchtige Seufzer, und man erzählte sich, daß er mit seinen feurigen, schwarzen Augen das Herz einer Frau zum Schmelzen bringen konnte. Der muskulöse Khardan war sehr stark. Bei den freundschaftlichen Ringkämpfen hatte er sich stets behauptet – einmal konnte er sogar Sond, den Dschinn, zu Boden werfen.
Der Kalif hatte bereits im Alter von sechs Jahren an seinem ersten Raubzug teilgenommen. Er saß damals auf dem riesigen Pferd hinter seinem Vater und schrie vor Begeisterung. Niemals würde er das aufregende Erlebnis dieses wilden Ritts aus seinem Gedächtnis verlieren, die packenden, erregenden Augenblicke, als sie zwischen die ahnungslosen Schafe schlichen, die Triumphschreie, als die Spahis mit ihrer Beute davongaloppierten und natürlich die Wutschreie der Hirten sowie das zornige Gebell ihrer Hunde. Seit dieser Nacht lebte Khardan nur noch für die Raubzüge und den Krieg.
Die Akar waren einer der meistgehaßten und gefürchteten Stämme in der Pagrah-Wüste. Zwischen den Akar und allen anderen Nomadensippen herrschten unversöhnliche Blutfehden. Kaum eine Woche verging, ohne daß Khardan und seine Männer Schafe stahlen oder mit anderen Stämmen Kämpfe um Weidegebiete
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