Die Rose des Propheten 1 - Das Buch der Götter
austrugen. Gelegentlich überfiel er einen Stamm aus Rache für den verletzten Stolz irgendeines Ur-Ur-Urgroßvaters, den ein anderer vor einem Jahrhundert verletzt hatte.
Khardans Stolz grenzte zwar schon fast an Überheblichkeit, doch war er auch ein geschickter Reiter und zudem furchtlos in der Schlacht. Die Akar bewunderten ihn. Die Männer wären ihm sogar in Suls Hölle gefolgt, während es im Lager keine unverheiratete Frau unter sechzehn Jahren gab, die nicht freudig ihr Bett, ihre Kleidung und ihren gesamten weltlichen Besitz zu seinem Zelt getragen und ihm demütig zu Füßen gelegt hätte (die erste Handlung, die eine Frau nach ihrer Hochzeitsnacht vollzog).
Khardan hatte bisher noch keine Braut erwählt, was bei einem fünfundzwanzigjährigen Mann ungewöhnlich war. Bei seiner Geburt hatte Sond – der Dschinn – verkündet, daß Gott Akhran selbst eine Gemahlin für den Kalifen aussuchen werde. Das hielt man damals für eine besondere Ehre. Aber als die Jahre vergingen und Khardan mitansehen mußte, wie die Harems seiner untergebenen Männer anwuchsen, da empfand er das Warten auf eine Entscheidung des Gottes immer mehr als lästig.
Ohne Harem fehlte einem Mann eine wichtige Macht – die Magie. Sie war ein Geschenk, das Sul allein den Frauen gegeben hatte. Die Kunst der Magie hatte ihren Sitz im Harem, wo die Hauptfrau deren Anwendung überwachte. So war Khardan gezwungen, auf eine Ehefrau zu warten, ehe er die Segnungen der Magie erlangen und den Freuden des Ehebetts teilhaftig werden konnte.
»Hazrat Akhran will mir also etwas mitteilen!« stellte Majiid stolz fest. »Was ist der Wille des Hochgepriesenen?«
Sein Schnurrbart zuckte vor Erregung. »Hat es womöglich mit der Heirat meines Sohnes zu tun?«
»Ja…« begann Sond.
»Akhran sei gepriesen!« strahlte Majiid und hob die Hände gen Himmel. »Wir haben fünfundzwanzig Jahre darauf gewartet, Akhrans Willen zu erfahren. Zu guter Letzt wird mein Sohn also doch noch eine Frau erhalten!«
»Sidi!« versuchte Sond fortzufahren, aber es war vergebens. Majiid schleuderte die Eingangsplane mit solcher Wucht zur Seite, daß beinahe das Zelt zusammenbrach, und stürzte hinaus.
Die Spahis, die Reiter der Wüste, lebten nicht wie ihre Vettern, die Schafhirten aus den Bergen, in festen Jurten, die sie für längere Zeit bewohnten. Die Akar reisten von Oase zu Oase, ständig auf der Suche nach Weideland für ihre Pferde. Sie ließen ihre Tiere das Gras in einem Gebiet abweiden und zogen weiter, wenn es abgegrast war. Die Akar lebten in Zelten, die aus Wollstreifen bestanden. Die Streifen wurden von Hand zusammengenäht und erhielten ihre Festigkeit durch die magische Kunst der Haremsfrauen. Khardans Mutter, eine Zauberin mit beträchtlichen Fähigkeiten, prahlte damit, daß kein Sturmwind eines ihrer Zelte umwerfen könne.
Das Zelt des Scheichs war groß und geräumig, denn hier ließ Majiid beinahe jeden Tag den Rat zusammenkommen, hörte sich Bittgesuche an, schlichtete Streitigkeiten und hielt vor seinem Volk Gericht. Obwohl Majiids Zelt von außen schlicht aussah, war das Innere doch mit allem Prunk der Nomaden geschmückt. Allerfeinste Wollteppiche in leuchtenden Farben und mit reich verzierten Mustern hingen an den Zeltwänden. Seidenkissen umsäumten den Zeltboden (im Gegensatz zu ihren Vettern, den Hrana, verschmähten die Akar, auf hölzernen Bänken zu sitzen oder zu schlafen). Mehrere Wasserpfeifen, ein mit silbernem Zierat geschmückter Sattel, ein paar Messingkessel, Kaffee- und Teekannen sowie Sonds Messinglampe standen ordentlich aufgereiht an einer Innenwand des Zelts. Eine mit kunstvollen Schnitzereien verzierte Truhe, die aus der Stadt Khandar stammte, enthielt Majiids Waffenarsenal aus Krummsäbeln, Schwertern, Messern und Dolchen.
Wie ihre Vettern, die Hrana, waren auch die Akar in den letzten Jahren zu Wohlstand gekommen. Durch die anstehende Hochzeit würde Khardans aufsteigender Stern den Himmel hell erleuchten, zumal die Akar nun gewiß zum mächtigsten Stamm in ganz Pagrah wurden.
»Männer und Frauen der Akar! Nun haben wir wirklich einen Grund zum Feiern!« dröhnte Majiids Stimme durch das Lager. »Hazrat Akhran, Sein Name sei gepriesen, hat Seinen Willen für die Heirat von Khardan kundgetan!«
Sond vernahm die widerhallenden Hochrufe des versammelten Volks. Die heiratsfähigen Töchter schnappten überrascht nach Luft, kicherten verstohlen und klatschten voller Hoffnung in die Hände. Die Mütter der in Frage
Weitere Kostenlose Bücher