Die Rose des Propheten 1 - Das Buch der Götter
Abt erinnerte sich an seine eigene Jugend. Er hatte die Zuneigung zwischen den beiden wachsen sehen; man mußte schon blind sein, um das nicht zu bemerken. Aber das bereitete ihm keinen Kummer. Sobald sie in Bastine angekommen wären, würden die beiden mit den Pflichten ihrer Orden beschäftigt sein, und da die Hexer und Mönche aus Sicherheitsgründen jeweils in einer geschlossenen Gruppe reisten, würden die jungen Männer kaum Zeit füreinander finden. Wenn ihre Freundschaft eine ernsthafte Grundlage hatte, sollte die Mühsal der Reise sie weiter festigen. Wenn dem nicht so war, wäre es besser, das jetzt herauszufinden, bevor einer der beiden verletzt wurde.
Der Rundgang hatte den Abt auf die Steuerbordseite des Schiffs geführt. Erst jetzt bemerkte er, daß sein Blick seinen Gedanken gefolgt war: Er hatte sich erneut zu den beiden jungen Männern auf der gegenüberliegenden Seite des Decks umgedreht. Eine Gruppe Delphine begleitete das Schiff. Ihre eleganten Körper schossen durch die Wellen. Bruder John, der junge Mönch, lehnte sich im Überschwang über die Reling hinaus, um sie besser beobachten zu können – ein Unterfangen, das offensichtlich seinen Gefährten störte.
Eigenartig, dachte der Abt, normalerweise sagt man unserem Orden würdevollen Ernst nach. Jedenfalls war in diesem Augenblick der Hexer Mathew der zurückhaltendere und ernsthaftere Zögling von beiden. Außerdem sah der junge Mann bemerkenswert gut aus, stellte der Abt nicht zum ersten Mal fest.
Mathew war ein Wesmane – ein Volk, das wegen seiner Schönheit und seiner hellen, sanften Stimme gepriesen wurde; das galt gleichwohl für Männer wie auch für Frauen. Sein Haar war von kupfernem Kastanienbraun, das Gesicht so weiß, daß es fast durchsichtig wirkte. Seine grünen Augen lagen unter tiefbraunen, buschigen Brauen. Den Männern von Mathews Rasse wuchsen keine Bärte – sein Gesicht war glatt, und obwohl er von eher zierlicher Statur war, wirkte er stark und zeichnete sich durch einen ernsten, nachdenklichen Ausdruck aus, der selten durchbrochen wurde. Doch wenn der junge Hexer lächelte, was nicht oft geschah, dann mit solch ansteckender Wärme, daß der zurückhaltendste Mensch nicht umhin konnte, das Lächeln zu erwidern.
Mathew war genauso verständig wie gutaussehend. Sein Lehrer hatte dem Abt davon berichtet, daß Mathew schon als Junge stets Primus seiner Klasse gewesen war. Tatsächlich galt diese Reise als Anerkennung für seine erst kürzlich ausgesprochene Erhebung in den Stand des Zauberlehrlings.
Außerdem war Mathew zutiefst religiös – ein weiterer Grund dafür, daß man ihn ausgewählt hatte, die Priester auf ihrer Mission zu begleiten. Da der Gott Promenthas den Mönchen den Kampf untersagt hatte, heuerten die Priester oft, wenn sie die Länder der Ungläubigen bereisten, Hexer als Leibwächter an. Zumal sie die sanfteren und raffinierteren Abwehrkünste der Hexer den Schwertern und Messern der Krieger vorzogen.
Diese Reise war jedenfalls so gefährlich und ungewiß, daß der Abt es fast bereute, daß er keine Ritter mitgenommen hatte, so wie es ihm vom Herzog eindringlich angetragen worden war. Der Abt hatte diesen Vorschlag leichthin zurückgewiesen und Seine Gnaden daran erinnert, daß sie mit dem Segen und unter der Obhut von Promenthas reisten. Inzwischen allerdings stimmten ihn jedoch die Geschichten nachdenklich, die der Kapitän des Schiffs zu erzählen wußte.
Natürlich vermutete der Abt, daß der Kapitän übertrieb. Offensichtlich genoß er es, die naiven Vertreter Gottes zu ängstigen. Berichte von Dschinnen, die in Flaschen wohnten und ihren Herren Gold und Edelsteine brachten, Teppiche, die durch die Luft flogen… Der Abt hatte den Kapitän nachsichtig über den Eßtisch hinweg angelächelt und wunderte sich darüber, daß der Mann ernsthaft meinte, Erwachsene würden solch merkwürdigen Erzählungen Glauben schenken.
Der Abt hatte die Länder und Sprachen des Kontinents Sardish Jardan studiert. Diese Studien waren sowohl für die Priester als auch für die Magier unerläßlich, da sie alle die Sprache der Ungläubigen fließend sprechen mußten, um ihnen das Wissen über den wahren Gott vermitteln zu können. Und sie mußten über das Land unterrichtet sein, in das sie reisten. Deshalb hatte der Abt viele dieser Geschichten gelesen, aber sie nicht ernster genommen als die Märchen von den Schutzengeln, die man ihm als Kind erzählt hatte. Die Vorstellung, daß man eine unmittelbare
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