Die Rose des Propheten 1 - Das Buch der Götter
zur Tür hinaus, um sicherzugehen, daß niemand in der Nähe war.
»Ich bin nicht so unwissend, wie Ihr denken mögt«, entgegnete der Abt schroff. »Der Herzog ließ mich am Abend vor der Abreise zu sich kommen.«
Diesmal war es der Erzmagus, der einen forschenden Blick auf seinen Freund richtete. »Hat er es Euch gesagt?«
»Einiges. Genug, um zu begreifen, daß er und Seine Königliche Hoheit den Herrscher der Heiden als Bedrohung empfinden, obwohl mir das unverständlich ist, angesichts des weiten Meeres, das sie trennt.«
»Meere können überquert werden und nicht nur von Schiffen, wenn man dem Kapitän Glauben schenkt…«
»Pah!« erwiderte der Abt.
Der Erzmagus setzte seine leere Teetasse ab und sah durch das Bullauge auf die rollenden Wogen. Sein Gesicht mit dem langen grauen Bart wirkte bekümmert. »Mein Freund, ich will Euch nicht verhehlen, daß wir ein fremdartiges Land betreten, das von grausamen und wilden Menschen bewohnt wird, die an fremde Götter glauben. Allein die Tatsache, daß Ihr als Priester kommt, beunruhigt ihre Götter. Und daß wir als Spione einreisen, beunruhigt ihre Regierung und liefert uns so ernsthaften Gefahren aus, daß nicht einmal ein Schiffskapitän sie übertrieben ausmalen könnte. Wir müssen zu jeder Stunde vorsichtig und wachsam sein.«
»Wenn dem so ist, warum habt Ihr dann Mathew mitgenommen?« fragte der Abt in einen Augenblick der Stille hinein. »Er ist so unschuldig, so unbedarft… so… so, so jung.«
»Genau deshalb habe ich ihn mitgenommen. Seine unberührte Jugend und seine Arglosigkeit werden uns vor Mißtrauen schützen. Er hat eine Begabung für Sprachen und beherrscht die Dialekte dieses Landes besser als jeder andere von uns. Übrigens war es der Vorschlag des Herzogs«, fügte der Erzmagus hinzu und nahm einen Schluck Tee, »daß, falls der Herrscher Gefallen an ihm fände, wir ihn am Hof zurücklassen.«
»Ist er sich bewußt…«
»Über die wahre Natur unserer Mission? Nein, natürlich nicht. Und ich denke, man sollte es ihm auch nicht erzählen.
Mathew ist von Natur aus offen und vertrauensvoll. Ich glaube, er könnte kein Geheimnis bewahren, selbst wenn er damit sein Leben retten würde.«
»Wie könnt Ihr nur daran denken, ihn allein zurückzulassen?«
»Wir werden ihm erzählen, daß er zurückbleibt, um die Leute zu studieren und um uns über ihre Kultur, ihre Gebräuche und ihre Sprache zu berichten. Er wird uns in seiner Unschuld alles, was er erlebt, mittels unserer magischen Verbindung mitteilen. Wir werden in der Lage sein, zwischen den Zeilen zu lesen und so die tatsächlichen Pläne und Beweggründe des Herrschers herauszufinden.«
Angesichts dieser Doppelbödigkeit fühlte sich der Abt äußerst unbehaglich. Er seufzte und rutschte unruhig auf seiner harten Bank hin und her. Zum Glück verwickelte die Kirche sich nicht in solch politische Ränke. Er hatte nur Seelen zu retten. Ihre Unterhaltung wandte sich anderen, weniger düsteren Themen zu. Und nach einer Stunde machte der Abt sich zum Aufbruch bereit.
»Ich schätze, ich sollte mir keine Sorgen machen«, sagte er beim Abschied. Er wollte vor dem Abendbrot und den schlaf raubenden Erzählungen des Kapitäns noch ein Schläfchen halten. »Schließlich steht Promenthas uns bei.«
Der Erzmagus lächelte nachsichtig und nickte. Doch nachdem sein Freund gegangen war, blickte der Hexer hinaus auf die glitzernde See, wo die Delphine mit den goldenen Ringen spielten, die ihnen die Seeleute zugeworfen hatten. Seine Miene wurde jetzt sorgenvoll. »Promenthas steht uns bei? Ich frage mich…«
2
Die Reise der Galeone führte ostwärts über das Hurn-Meer von Tirish Aranth nach Sardish Jardan und verlief, wie der Erzmagus es vorhergesagt hatte, zügig und ohne Zwischenfälle. Während der gesamten Dauer seiner zweimonatigen Reise wurde das Schiff von stetig wehendem Wind, warmem Wetter und einem wolkenlosen Himmel begleitet. Ob man es nun Hurishta und Inthaban oder der Tatsache verdankte, daß sich die Stürme, die noch zur Jahreswende über den Ozean gefegt waren, gegen Ende des Winter hin gelegt hatten, hing vollkommen von der jeweils persönlichen Meinung ab.
Die Fahrt verlief so verdächtig ruhig, daß die Seeleute richtig erleichtert waren, als unter Deck ein kleines Leck ausgemacht wurde, das alle Männer dazu zwang, unentwegt Hand an die Pumpen zu legen. Die Seefahrer sahen das Ende ihrer Glückssträhne gekommen, die ihres Erachtens ohnehin schon viel zu lange
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