Die Rose des Propheten 3 - Das Buch der Unsterblichen
lange und gewundene Gänge zu erreichen. Der Boden bestand aus schwarzem Marmor. Hohe Marmorsäulen stützten eine Decke aus geschnitztem Elfenbein, das in Blöcken aus den Großen Steppen von Tara-kan herbeigeschifft worden war und dessen reichverzierte Gestalten die vielen Segnungen darstellten, die Quar seinem Volk bescherte. Der Audienzraum war von riesigen Holzkohlebrennern beleuchtet, die in jeder Ecke des viereckigen Raums auf Dreifüßen standen, war aber mit Ausnahme eines Einzigen, wunderbar schönen Holzsessels leer.
Der Sessel stammte aus Khandar und war wahrscheinlich wertvoller als der gesamte Tempel samt seiner Einrichtung, denn er war aus Saksaul geschnitzt. Der Saksaul-Baum fand sich nur im salzdurchtränkten Sand der östlichen Pagrah-Wüste und war wegen seiner ungewöhnlichen Eigenschaften schon seit langem ein Gegenstand der Verehrung. Das schwarze Holz war äußerst hart; wurde es jedoch geschnitzt, splitterte und zerbrach es wie Glas. So mußten die Handwerker außerordentliche Sorgfalt walten lassen, und selbst kleine Schnitzarbeiten konnten viele Monate dauern. Das Holz war schwer und sank im Wasser. Wenn es verbrannt wurde, gab es würzige, duftende Rauchschwaden von sich, die eine Art Betäubung bewirkten. Die Asche wurde oft sorgfältig aufbewahrt und von Ärzten zur Zubereitung verschiedener Arzneien verwendet. Am merkwürdigsten aber war, daß der Baum unter dem Sand wuchs: Sein schlangengleicher Stamm, der oft dreißig Fuß und länger war, lag zehn bis zwölf Zoll unter der Oberfläche begraben.
Wie er in dem Saksaul- Sessel saß, dessen reiches Schnitzwerk, wie es hieß, mehrere Handwerker einige Jahre aufwendigster Arbeit gekostet hatte, faßte Feisal im Geist alle Berichte und eigenen Beobachtungen über Meryem zusammen. Er ging sie einzeln durch und prüfte sie nacheinander, wie die Finger eines Bettlers die Goldmünzen prüfte.
Qannadis Soldaten hatten die Konkubine und Spionin des Emirs bewußtlos im Nomadenlager vorgefunden. Man hatte ihr den größten Teil ihrer Kleider, alle Besitztümer und sämtliche ihrer mächtigen magischen Gerätschaften vom Leib gerissen. Als der Emir sie befragte, teilte Meryem ihm mit, daß einer seiner Soldaten sie für eine schmutzige Kafir gehalten und versucht hatte sie zu vergewaltigen. Sie hatte den Mann bestimmen können und hatte in gekränkter Unschuld mitangesehen, wie er zur Strafe fast zu Tode gepeitscht wurde.
Der Emir hatte ihr nicht geglaubt, ebensowenig wie Feisal. Qannadis Soldaten hatten bei Androhung der Kastration unter strengem Befehl gestanden, keine Frau zu behelligen. Sie waren angewiesen worden, nach Meryem Ausschau zu halten, um sie bei drohender Gefahr vor den Nomaden zu retten. Die Vorstellung, daß einer seiner Männer sein Leben riskieren sollte, um der Konkubine des Emirs Leid anzutun, war lächerlich. Doch der Emir hatte keine anderen Beweise dafür, als daß der Soldat lautstark seine Unschuld beteuerte, und so war ihm nichts anderes übriggeblieben, als den armen Teufel zu bestrafen. Qannadi machte zwar nicht mit seiner Drohung ernst, den Mann zu kastrieren, aber eine gelegentliche Auspeitschung war ohnehin gut für die Disziplin, und wenn der Soldat auch keine Strafe für dieses besondere Vergehen verdient haben mochte, so doch mit Sicherheit für irgendein anderes.
Die Angelegenheit war erledigt, und Meryem wurde ins Serail zurückgeschickt, wo das Mädchen schließlich, Yaminas Berichten zufolge, voller Furcht darauf wartete, daß der Emir sein Versprechen einlösen würde, sie zu einer seiner Frauen zu machen. Feisal wußte, daß dies noch vor zwei Monaten Meryems innigster Herzenswunsch gewesen war. Nicht daß Qannadi im Schlafzimmer eine besondere Größe gewesen wäre. Er war fast fünfzig, sein Kriegerkörper voller grotesker Narben, die Hände rauh und schwielig, der Atem oft säuerlich vom Wein. Es war also nicht das Vergnügen seiner Gesellschaft, weswegen die Frauen miteinander darum wetteiferten, seine Favoritin zu werden, sondern die Freuden der reichen Belohnung, die mit einer solchen Auszeichnung einherging.
Im Harem des Emirs die Stellung einer Ehefrau innezuhalten, bedeutete, daß die Frau in die Reihe der mächtigen Zauberinnen aufgenommen wurde, die die Palastmagie bewirkten. Kinder, die aus dieser Vereinigung hervorgingen, waren rechtmäßige Söhne und Töchter des Emirs und bekamen oft hohe Stellungen am Hof, ganz zu schweigen davon, daß eins von ihnen zu Qannadis Erben auserkoren werden
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