Die Rose von Angelâme (German Edition)
Gram darüber die Gurgel abgesoffen, und die Frau sei ihm kurz danach ins Grab gefolgt. Der Bucklige aber sei ein guter Netzeflicker und geschickter Zimmerer, der wie keiner die Boote zu richten verstehe. Ihre Steuer und Ruder fertige er an wie keiner sonst, und die roten Haare seien ihm inzwischen auch grau geworden, wie man sehen könne.
Pierre starrte gedankenverloren zu den glimmenden Holzscheiten hinüber, die unter dem leise schaukelnden Suppenkessel knisterten, aus dem Isabelle soeben eine kräftige Fischsuppe für die Männer in hölzerne Schüsseln schöpfte. Die Suppe dampfte und verbreitete einen würzigen Duft in der Stube, den Pierre anfangs floh, da er Fisch weder gerne aß noch gerne roch. Aber in der Zwischenzeit hatte er schätzen gelernt, was die Küche an der Küste zu bieten hatte, und er freute sich auf die Mahlzeiten, die diese einfachen Leute mit ihm teilten.
Isabelle reichte dem Gast eine Schüssel und warf ihm dabei einen schelmischen Blick zu, den Pierre verschämt ignorierte. Langsam löffelte er die Suppe, während seine Gedanken sich in der Ferne verloren. Plötzlich kam ihm SaintMartin wieder in den Sinn, und Pierre, der die Erinnerung an die letzte Begegnung mit dem edlen Ritter ständig verdrängt hatte, weil sie ihn nach wie vor schmerzlich berührte, ließ den Löffel sinken und zwang sich, dem Gespräch der anderen zu lauschen, welches sich noch immer um das gestrandete Schiff drehte.
Aber der Gedanke an SaintMartin ließ ihn nicht mehr los.
Pierre hatte den Tempelritter noch im Spätsommer des Jahres 1307 in einem Flecken unweit von Rennes erwartet, wie ihm seine Mittelsleute aus dem Geheimbund aufgetragen hatten. Drei Tage lang begab er sich jeden Vormittag zu der Kapelle auf einem Hügel außerhalb des Dorfes, ohne dass jemand gekommen wäre. Dann, am vierten Tag, erschien ein Reiter am Rand des nahen Waldes, wo er zunächst reglos verharrte, bevor er sein Pferd in vorsichtigem Schritt zu dem Kirchlein lenkte. Er hielt einige Pferdelängen von ihm entfernt an und sah zu ihm herüber.
„Pierre de Mézeray?“, rief er schließlich.
„Der bin ich“, antwortete Pierre. „Und wer seid Ihr, Edelmann?“
Der Reiter stellte sich ihm kurz vor, dann ließ er ihn wissen:
„Der, auf den du wartest, wird am Abend in dein Quartier kommen. Lass ihm ein Bett in deinem Zimmer herrichten, und sag dem Wirt, dass du bis auf Weiteres nicht gestört werden willst, sobald dein Gast eingezogen ist.“
Mit diesen Worten wendete der Fremde sein Pferd, und trieb es in leichtem Trab zum Wald hinüber, in dem er gleich darauf verschwunden war.
Pierre hatte sich das Abendessen in seine Kammer bringen lassen, in der ein zweites Bett hergerichtet und eine zusätzliche Schüssel Wasser aufgestellt worden war. Er hatte um eine weitere Portion Käse und Brot gebeten, und einen großen Krug Wein bringen lassen, und wartete jetzt darauf, dass SaintMartin eintraf.
Es war längst Mitternacht vorbei, als ein Reiter in den Innenhof des Gasthauses kam, und es dauerte noch eine Weile, bis es an Pierres Kammertür klopfte. Pierre, der über dem Tisch eingeschlafen war, erhob sich und öffnete. Draußen stand endlich, mit vom schnellen Ritt gerötetem Gesicht, Olivier de SaintMartin. Er trat ein und schloss sofort die Tür hinter sich, bevor er den jungen Mann in einer Geste tiefster Freundschaft umarmte.
Pierres Freude darüber, den Ritter endlich wieder zu sehen, schwand augenblicklich, als SaintMartin ihm während seines Mahls erzählte, weshalb er ihn zu sprechen gewünscht hatte.
„Du weißt, dass der König beschlossen hat, den Tempel zu vernichten“, begann der Edelmann ohne Umschweife. „Sein Hass auf uns hat ihn blind dafür gemacht, dass die Mönche und Ritter dieses Ordens ihm Ruhm und Ehre gebracht haben und ihm treu ergeben waren. Philipp hat außerdem bei seinem Besuch im Temple in Paris zum ersten Mal das gesehen, was ihn nie wieder losließ: den materiellen Schatz der Templer. Darüber hat er wohl den Verstand verloren.“
SaintMartin nahm einen kräftigen Schluck aus dem Becher, den Pierre ihm reichte, bevor er fortfuhr:
„Ich habe unser Treffen aus zwei Gründen arrangiert, Bruder. Erstens, weil ich möchte, dass du über einige Dinge informiert bist, die mir wichtig erscheinen, und zweitens, damit du auf die Anweisungen der Geheimen Bruderschaft vorbereitet bist, unter deren Befehl du seit deinem Besuch bei Montgelas stehst.“
Er sah Pierre ruhig an, der ihm mit hochgezogenen
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